6. Januar 2019

Kalbfleisch Stroganoff und warum wir unbedingt mehr auf die „Cheap Cuts“ achten müssen

4 Kommentare

Petra Hammerstein hat ein Buch über moderne Fleischküche mit vergessenen Teilen vom Tier geschrieben. Dieses Gericht ist eines davon. Das und was es noch zu diesem wichtigen Buch zu sagen gibt...

 

Als ich meinen Metzger nach Kalbsnacken frage, lächelt er. Nicht dieses „Ich bediene Sie gern“-Lächeln, nein, es ist eher dieses etwas erstaunte Lächeln, denn was ich haben will, hat er nicht. Wohlgemerkt, ich bin zu einem der besten Metzger im Umland Münchens gefahren, wohin ich immer fahre, wenn ich etwas Besonderes haben will. Ich erwische ihn also genau in diesem Moment, wo er nicht mehr die Suppenfleisch-Litanei herunterspulen kann, wo ich seine Verwunderung bemerke, dass jemand nach einem Stück Fleisch fragt, das so gut wie nie verlangt wird. Das habe doch viele Fetteinschlüsse, das mögen die Leute heute gar nicht mehr, erklärt er. Vielleicht bei den alten Bauern, da käme das noch auf den Tisch. Will doch heute eh nur jeder Filet, Koteletts und Steaks aus der Hüfte. Vom Geschmack her sei das ja gut, meint er, aber es wisse doch heute keiner mehr, was man damit machen könne. Da gebe ich ihm recht. Zwar dürfen in meine Küche auch Brustkern, Bäckchen und Nierenzapfen, aber das auch nur, weil ich weiß, wie man damit umgeht. In Ansätzen zumindest. Der Kalbsnacken ist auch für mich eine Premiere. Damit ich nicht mit leeren Händen die Metzgerei verlasse, einigen wir uns auf Schulter. Die sei immerhin das, was dem Nacken am nächsten käme. Ich bezahle für fast 700 Gramm gerade mal zwölf Euro.

Kalbfleisch Stroganoff ist das erste, von vielen Gerichten aus dem neuen Buch von Petra Hammerstein „zart und saftig – Geniale Fleischgerichte jenseits vom Filet“, das ich nachkochen möchte. Ein voluminöses Buch, das sich ausschließlich der sogenannten „Cheap Cuts“ annimmt, keine Innereien, sondern nur Fleischstücke, die vielleicht noch unsere Großmütter kannten, die jedoch verloren gegangen sind. Verloren deshalb, weil vielleicht allenfalls am Sonntag noch genug Zeit für einen Braten geblieben ist. Weil die Zeit immer knapper wurde. Weil Fleisch plötzlich nur noch mager sein sollte. Weil Fleisch irgendwann im Zuge der Diskussionen um Massentierhaltung uncool wurde. Es gibt viele Gründe.

In ihrem Buch beschreibt Hammerstein wie sie dazu kam, dass Fleisch in ihrem Leben eine so große Rolle spielt. Sie betreibt zusammen mit ihrer Mutter ein Antiquariat für Bücher in der Türkenstraße in München, Rezepte waren also schon immer da, alte Rezepte, vergessene Schätze, die zu heben, für sie wichtig waren. Sie schreibt darüber, wie sie mit traditioneller Fleischküche aufgewachsen ist, wie der Vater immer beim Metzger im Nebenhaus, wenn geschlachtet wurde, das frische Fleisch mitgebracht hatte. Wie Saumfleisch, Kronfleisch und Tellerfleisch einfach ganz normal waren.
Und irgendwann wurde daraus eine Passion. Auf ihrem Blog (dermutanderer.de) schreibt sie, dass sie für frische Kalbsleber durch die halbe Stadt fahren würde, sie schreckt nicht vor Kutteln und selbst Hahnenkämmen zurück. Es kam zusammen, was immer schon ihre Leidenschaft war. Kochen, alte Rezepte und gutes Fleisch. Dabei ist sie wählerisch. Nur wenn sie Vertrauen zu einem Metzger gewonnen hat, kauft sie auch. Das Sterben der Metzgereien und des Metzgerhandwerks berührt sie mehr, als vermutlich die meisten von uns. Das macht sie in persönlichen Gesprächen deutlich.
Dabei sei es gar nicht so, dass moderne Fleischküche und vergessene Teile des Tieres nicht miteinander zu vereinbaren wäre, meint sie. Ganz im Gegenteil. Je mehr die Diskussion um Fleischgenuss in den Vordergrund gedrängt wird, je mehr die Fraktion der Vegetarier dagegenhält, desto mehr Menschen würden sich auch für eine ganzheitliche Nutzung der Tiere interessieren. Nicht nur mal eben schnell ein Steak in die Pfanne hauen.

Ich hätte keinem mehr Kompetenz zugetraut, das Thema der vergessenen Fleischstücke zu entstauben, als ihr. Auf ihren vielen Reisen hat sie in die Töpfe naher und ferner Länder geschaut, hat die Rezepte, die sie mitgebracht hat, in ihre Alltagsküche integriert und hat nach und nach viele der alten Rezepte in die Neuzeit gebracht. Warum das nötig war? Warum man die Rezepte nicht einfach so gelassen, wie sie einst vor hundert Jahren aufgeschrieben wurden? Weil sich eben auch die Technik verändert hat. Herde können mehr, es ist heute einfacher denn je, auch an teils exotische Zutaten zu kommen. Es ist also an der Zeit, mit dem Metzger ein ernsthaftes Gespräch zu führen und ihn zu bitten, doch mal wieder öfter das eine oder andere unbekannte Stück Fleisch in die Auslage zu legen. Wie man damit umgeht, das lehrt dieses Buch.

Schauen wir es uns genauer an

Das Buch ist aufgeteilt nach den Tieren. Kalb und Rind, Schwein, Lamm und Huhn. Dazu gibt es ein extra Kapitel nur für Beilagen, wo sich die verschiedenen Klöße, Buchteln, Salate, Reis und Pürees finden. Alles ausgestattet mit Tipps und Variationen, wo und wie es am besten zu welchem Gericht passt. Insgesamt über 100 Rezepte sind zusammengekommen.

Gleich das erste Rezept im Buch, das Doppelschnitzel vom Kalbsnacken mit einer Sardellen-Butter-Brösel Füllung ist ein Knaller. Aber das wussten ja viele von euch bereits, dass die Zugabe von ein bisschen Sardelle zum Fleisch, kein fischiges Aroma beisteuert, sondern es ein Küchengeheimnis ist, das einem Gericht zu mehr Umami verhilft, oder? Weiter geht es mit gebackenen Kalbsbrustwürfeln mit Estragon Mayonnaise, saurer Kalbshaxe und Kalbsvögerl mit Pfifferlingen. Beim Rind gibt es Cornish Pastries, gesottenen Tafelspitz, Tafelspitz Pie mit Guiness, Soça aus dem Aostatal, ein Bürgermeisterstück rückwärts gebraten mit Artischocken, japanische Ramensuppe und Rinderbrust mit Sauerkirschen und Whisky. Das sind nur ein paar der Rezepte. Hier trifft Bayern auf Asien, auf Osteuropa und den Mittelmeerraum.
Beim Schwein führt Hammerstein uns nach Portugal zu Carne de Porco à Alentejana, einem Eintopfgericht mit Schweinenacken und Miesmuscheln, nach Korea zu knusprigem Schweinebauch und liefert gleich mehrere Marinaden für Spareribs. Hier gibt es die ultimativen Fleischpflanzerl, für alle Nicht-Bayern sind das Frikadellen oder Buletten, ebenso wie einen Hackbraten aus Vietnam.
Beim Lamm kommt der oft vergessene Bauchlappen für einen Rollbraten mit geräuchertem Mozarella (Scamorza) zu seinem Auftritt. Südtiroler Schlutzkrapfen werden mit Lamm gefüllt. Beim Huhn steht die Oberkeule im Vordergrund und nicht die Brust. Es gibt zum Beispiel Chicken-Lollies, Saté und Backhendel.
Auch einige bekannte Küchenchefs wie Ludwig „Lucki“ Maurer, Shane Mcmahone und Hao Jin, bekennen sich zu den vergessenen Teilen vom Tier und steuern Interviews und Rezepte bei.

Es ist ein Buch, das genau zur richtigen Zeit gekommen ist. Das zeigt, dass Fleischküche in der Neuzeit angekommen ist, dass sie auch international ein wichtiges Kulturgut ist.

Kalbfleisch Stroganoff

Für Vier

600g Kalbsnacken (in meinem Fall Schulter)
400 g Champignons
1 Zwiebel
ca. 10 Cornichons
1 EL Butter
200 ml Weißwein
1 EL scharfer Senf
100 ml Sahne
100 ml Kalbsbrühe
1 EL Speisestärke
neutrales Pflanzenöl zum Anbraten
Salz
frisch gemahlener schwarzer Pfeffer

Vom Fleisch dicke Sehnen und Haut entfernen und in 0,5 cm dicke Streifen schneiden.

Die Pilze putzen und feine Scheiben schneiden. Die Zwiebel würfeln. Die Cornichons in 1 cm dicke Stücke schneiden.

Etwas Öl in einer großen Pfanne auf mittlerer Stufe erhitzen und die Zwiebeln darin glasig anschwitzen, nicht bräunen lassen. Die Zwiebeln aus der Pfanne nehmen und in einer Schüssel beiseitestellen.

Noch etwas Öl in die Pfanne geben und hoch erhitzen (es darf aber nicht rauchen). Das Fleisch salzen und zügig von allen Seiten anbraten. Ebenfalls aus der Pfanne nehmen und in einer zweiten Schüssel beiseitestellen.

Die Pilze salzen und die Butter in der Pfanne schmelzen lassen. Mit dem Weißwein ablöschen und kurz aufkochen lassen. Wieder auf mittlere Temperatur stellen. Zwiebeln wieder dazugeben, Sahne und Senf unterrühren. 2 EL Wasser oder Brühe mit der Speisestärke glattrühren und zusammen mit der Brühe dazugießen. Die Cornichons untermischen und nach Geschmack mit Salz, Pfeffer und noch etwas Senf würzen.

Dazu passen Nudeln oder Reis.

 

Zart und Saftig: Geniale Fleischgerichte jenseits vom Filet | Kochbuch mit kreativen Rezeptideen für Cheap Cuts: Tafelspitz, Ragout & Schmorgerichte von Petra Hammerstein ist im vergangenen September im Neuen Umschau Verlag erschienen.
240 Seiten
34,00 €

(Links sind Affiliate Links)

4 Kommentare

  1. Wir haben das Rezept ausprobiert – köstlich! Das parieren von Kalbsnacken war allerdings recht mühsam, nächstes Mal würde ich auch eher Schulter oder Keule nehmen.

    Antworten
    • Hallo Silvie,
      Danke für den Erfahrungsbericht. Dann war das mit der Schulter wohl doch nicht so schlecht.

      Antworten
  2. Danke für den tollen Tipp! Ich habe das Buch gleich letzte Woche verschenkt, es kam sehr gut an! Auch der Buchhändler hat es interessiert beäugt, als ich es abgholt habe :-) Jetzt bin ich gespannt, wann ich das erste Mal daraus bekocht werde.
    Viele Grüße, die Alex

    Antworten
    • Hallo Alex,
      das freut mich sehr. Hier warten auch noch einige Rezepte aus dem Buch darauf, nachgekocht zu werden.
      Herzliche Grüße
      Claudia

      Antworten

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