30. Juni 2019

Eine Food Tour durch das „andere“ Tel Aviv – der Stadtteil Neve Sha’anan

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Neve Sha'anan ist eine Stadt in der Stadt. Sie ist die Stadt der Immigranten und Flüchtlinge. Lange war sie einfach sich selbst überlassen. Das hat sich geändert und jetzt wartet so mancher kulinarische Schatz darauf, gehoben zu werden.

David Cohen, unser Guide an diesem Tag, erklärt, dass dies seine mit Abstand liebste Food Tour in Tel Aviv sei. Warum ausgerechnet hier, frage ich mich, als ich in der glühenden Hitze am Mittag auf dem ehemaligen Busbahnhof stehe. Ein paar Kinder spielen unter den Dächern, in einer anderen Ecke sitzt eine Gruppe Männer zusammen. Auf der Straße läuft eine abgemagerte Frau in schrillen Klamotten, eindeutig ein Junkie. Alles wirkt in diesem Moment, wie die Schattenseite des lebensfrohen Tel Avivs, wo man nur wenige Minuten braucht, um zum Strand zu gelangen, oder ins Weiße Viertel entlang des Boulevard Rothschilds.

Hier auf diesem Platz fuhren täglich hunderte Busse ab, spuckten tausende Menschen aus, nahmen andere wieder mit. Wer hier lebte konnte sich nichts Besseres leisten, war arm oder alt und musste sich mit dem zufriedengeben, was es eben gab. Und das war wenig. Hier lebten die, die im Rest der Stadt nicht willkommen waren. Flüchtlinge aus Äthiopien, Eritrea, dem Sudan, aber auch aus China und den Philippinen. Die Polizei wagte sich erst gar nicht rein in diesen Stadtteil, mied ihn und überließ die verschiedenen Ethnien quasi sich selbst. Das hatte zur Folge, dass man legal oder eben auch illegal mieten konnte. Läden wurden eröffnet, Restaurants folgten, viel davon spielte sich in den Hinterhöfen ab. Irgendwann hatte die Stadt den Busbahnhof aufgegeben, die Busse hielten nun überall, es war laut, stickig und ein Chaos.

Das alles änderte sich, als der Busbahnhof endlich weiter aus dem Zentrum verlegt wurde, als an jeder Ecke Kameras aufgestellt wurden und die Polizei mit entschiedener Präsenz die Gegend aus ihrer Autonomie holte. Doch noch immer gibt es für die meisten Israelis keinen Grund hierher zu kommen. Noch immer ist dies die Schmuddelecke der Stadt, wo mit Drogen gehandelt wird und wo meist eine Sprache gesprochen, die man sowieso nicht versteht. Cohen hat über viele Jahre eine Beziehung zu den Menschen in diesem Viertel aufgebaut, sie kennen und tolerieren ihn. Und eben wegen dieser Beziehungen bekommen wir die Gelegenheit, das alles sehr authentisch und unverfälscht zu erleben.

Äthiopischer Kaffee

Von außen betrachtet sieht es aus, wie ein kleiner Laden, in dem es eigentlich so gut wie nichts zu kaufen gibt. Ein Kühlschrank mit Wasser und Cola steht da. Wir laufen durch den Laden hindurch, an der Küche vorbei in den Hinterhof, der komplett mit Schirmen verdeckt ist. Es ist wie in einem Zelt. Die Wände sind mit Stoffen bespannt, auf den paar Tischen liegen bunte Wachstücher, Plastikstühle stehen rum, auf einer großen Leinwand läuft ein Fußballspiel und ein paar Männer spielen in einer Ecke Billard. Die einzigen anwesenden Frauen stehen in der Küche. In Äthiopien sind die Frauen für den Kaffee zuständig. Wenn Kaffee gewünscht wird, dann werden die sonnengetrockneten grünen Bohnen erst in einer Pfanne geröstet, dann gemahlen und 5 (!) mal gekocht. Es ist eine besondere Kanne in der dieser Kaffee zubereitet wird. Am Tisch bekommen wir jeder eine Tasse, dazu süßes Popcorn. Das ist als Begleitung zu Kaffee traditionell. Die anderen Teilnehmer in der Gruppe sind noch ein wenig verhalten, nippen nur höflich, vielleicht fragt sich auch der ein oder andere, ob die Tasse auch gut ausgespült wurde. Man weiß ja nie. Der Kaffee, der mit ein wenig getrocknetem Ingwer gekocht wurde, ist unglaublich mild und aromatisch. Elegant und leicht. Ich trinke ihn pur ohne Zucker. Milch gibt es hier nicht. Es ist gerade diese Authentizität, die manchen hier zu schaffen macht. Wir sind noch in Israel? Ja, auch wenn es sich gerade wie Äthiopien anfühlt.

 

Ein paar Schritte bis zum Sudan

Jetzt könne man doch mal was essen, deshalb seinen wir ja schließlich hier, meint David und führt uns nur ein paar Schritte weiter in ein sudanesisches Restaurant. Familien mit Kindern sitzen hier, wieder Männer in Gruppen, auf den Tellern liegen Fleischstücke und Reis. Es herrscht Hochbetrieb. Neugierig schaue ich auf die Teller. Reis, braune, dicke Sauce, etwas grüne Paprika. Wir bekommen auch die braune Pampe, die sich als Foul entpuppt. Das sind gekochte Bohnen, die mit Tomaten, Kreuzkümmel und Zwiebeln serviert werden. Dazu gibt es Fladenbrot. Ich hatte ein wenig auf das Fleisch spekuliert, doch stattdessen bekommen wir noch einen Süßkartoffeleintopf. Ich will ehrlich sein, ich konnte Foul noch nie leiden, nicht als ich in Ägypten war und auch nicht jetzt. Bohnen, die zu einem Brei verkocht werden, finde ich langweilig. Kreuzkümmel hin oder her. Der reißt das auch nicht mehr raus.

 

Gemüse, die man nur hier findet und ein philippinisches Restaurant

Maniok, Bittergurke und Schlangenbohnen sucht man auf dem Carmelmarkt vergebens. Wer die braucht, der findet sie hier in einem der quirligen Gemüseläden im Viertel. Die Sachen sehen topfrisch aus. Angesichts der Bittergurken fühle ich mich ein wenig nach Indien versetzt. David besorgt uns ein bisschen knusprig frittierte Schweinehaut, erzählt aber nicht, worum es sich dabei handelt. Alle probieren. Dann lässt er raten, was das wohl sei. Chips? Fehlanzeige. Ich und das nette philippinische Paar, das ebenfalls die Tour gebucht hat, zwinkern uns zu. Wir wissen, was es ist.

Natürlich müssen die beiden lachen, als wir ein philippinisches Restaurant als nächsten Stopp ansteuern. Die beiden wirken gebildet und weltoffen und nicht so, als würden sie sich in der Ferne nicht trauen, etwas zu essen, was sie nicht kennen. Das, was jetzt kommt, kennen sie genau – in Kokosmilch geschmortes Huhn, gebratene Gemüse und Glasnudeln. Dazu gibt es philippinisches Bier. Hier langen alle beherzt zu, asiatische Küche ist immer beliebt. Das Bier ist stark und die einzigen, die das freut, sind zwei Engländer. Ich bleibe ausnahmsweise bei Wasser. Das Restaurant, das fast ausnahmslos von Filipinos besucht wird, begann vor einigen Jahren als Catering Unternehmen. Mittlerweile hat man ein weiteres Stockwerk ausgebaut und man kann sich gut vorstellen, dass dieses kleine Lokal der Mittelpunkt des philippinischen Lebens in Tel Aviv ist.

 

Ich bin satt aber Injeera muss sein

Es war an einem kalten Januar Abend, als ein Bekannter mir aus Eritrea eine SMS schickte mit einem Bild, was er gerade dort so esse. Injeera mit Wot. Säuerliche Fladen aus Teffmehl mit wunderbar würzigen Saucen (in denen sich dann manchmal auch das Fleisch verbirgt). Ich beneidete ihn ein wenig, denn ich hatte noch nie zuvor Injeera gegessen. Und jetzt sitze ich mitten in Tel Aviv in einem eritreischen Restaurant und vor mir steht eine große Platte mit diesen luftigen Fladen. Wieder gibt es Bier dazu, diesmal eritreisches und diesmal trinke ich mit, das Bier ist nämlich super. Da ich nun bereits mehr als 20 Jahre in München lebe, traue ich mir hier eine gewisse Kompetenz zu, was die Beurteilung von Bier angeht.

Jetzt sind wir wirklich alle satt. Wir sind kulinarisch von Äthiopien über den Sudan und die Philippinen nach Eritrea gereist und haben von unserem Guide sehr viel über die Flüchtlingssituation in Israel erfahren. Mehr geht eigentlich nicht. Es war spannend und auf jeden Fall die Erfahrung wert. Menschen aus unterschiedlichen Nationen besuchen Menschen aus wiederum unterschiedlichen Nationen und es geht nur ums Essen. Darüber kann man sich wirklich nur freuen.

 

Zu buchen ist diese wunderbare Tour über das Abrahams Hostel oder online hier:

abrahamtours.com/tours/tel-aviv-food-culture-people/

Offenlegung: Ich finde, diese Tour ist die 34€ absolut wert, auch wenn ich dazu eingeladen wurde.

 

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