„Eigentlich gibt es im ganzen Burgund nur zwei Trauben. Es ist kompliziert“ – mit diesem Satz eröffnet Justin Leone, Sommelier in den heiligen Hallen des Restaurants Tantris in München, seine Weinschulung zum Thema Meursault und weißer Burgunder. Kompliziert ist es auf jeden Fall, noch mehr für eine Ahnungslose wie mich, wenn es zu verstehen gilt, weswegen eine Traube auf der einen Parzelle die Weinwelt vor Entzücken einen Kniefall machen lässt, wohingegen die Nachbarsparzelle von diesem Entzücken so weit entfernt ist, wie Pluto von der Sonne. Burgund, allein der Name deutet schon auf eine Farbe hin, ist eben nicht nur rot. Es sind die Weißen, die Justin Leones wahre Leidenschaft sind, und es ist der Burgund an sich.
Ich betrete an diesem Samstag Nachmittag eine fremde Welt. Und genau deshalb bin ich hier. Weil es wohl kaum einen besseren Lehrer gibt, der mir mehr über diesen blinden Fleck auf meiner inneren Weinkarte beibringen könnte. An einem Nachmittag auf der Empore über der Bar zu sitzen und etwas über Wein zu lernen hat was. Es ist das allgegenwärtige Rot dieses Hauses, die mitreißenden Vergleiche mit der Musik, die meine Sinne öffnen.
Weißer Burgunder also. Willkommen, du unbekannter Freund. Bis ich zu meinem ganz persönlichen Kniefall-Wein komme, wird es noch ein längerer Weg sein.
die Reben sind die Spieler, der Wein ist die Sinfonie, der Jahrgang ist der Dirigent
Gerade habe ich eine wunderbare Sinfonie im Glas. Dahinter verbirgt sich ein 2006 Auxey-Duresses, Comte Armand. Wunderbare Kraft, herrliche Fülle. Locker die volle Besetzung des Orchesters. Ich lerne zuerst, wie ich mich überhaupt der Bewertung dieser Weine nähere. Welche Lage? Welcher Jahrgang und welcher Winzer hat ihn gemacht? Es ist Chardonnay oder Pinot Gris. Die zusätzliche Handvoll autochthoner Trauben spielt keine Rolle.
Neben all den Mysterien, die sich um die Côte-d’Or ranken, ist die einzige Regel hier im Burgund, dass es keine Regel gibt, meint Justin Leone. Ja fein, wirklich hilfreich. Mir schwant langsam, warum ich auf diesem Auge bisher so blind war.
Leone erklärt, dass die Reben in der Region echte Masochisten sind. Sie werden faul, wenn sie nichts zu tun haben. Quält man sie ein wenig, fordert sie, so laufen sie zur Höchstform auf. Spielertaktik. Und es gibt in dieser Gegend genau zwei Sorten von Wein. Einen für jetzt und sofort und einen für den Keller. Das macht es also schon mal einfacher. Er spricht von seiner Zeit im Burgund und vom Stolz der Winzer. Diese Zeit hat ihm viel bedeutet. Tut es noch immer und so ist eine Freude, ihm zuzuhören und sich dabei langsam zum Grand Cru vorzuarbeiten.
Und dann ist er da. Der 2008 Corton-Charlemagne, Grand Cru, Bonneau du Matray. Mein ganz persönlicher Kniefallwein. Himbeeren, wenig Holz, komplexe Strukturen und doch von dieser uneitlen Fülle, dass ich kurz versucht bin, die Flasche zu streicheln. Das ist ganz großer Stoff.
Meursault und die große Dame Leflaive
Die zweite Runde ist angesagt. Verhalten nähere ich mich dem Meursault an. Der dritte Wein ist von Anne-Claude Leflaive, ein 2011 1er “Sous les Dos d’ Âne“. Die Winzerin, die als eine der prominentesten der ganzen Bourgogne gilt und sich ganz dem biodynamischen Weinbau hingab, ist kurz zuvor einer Krebserkrankung erlegen. Justin Leone ist sichtlich ergriffen, als er von ihr erzählt. Er kannte sie gut. Die uneingeschränkte Hingabe an die Natur ging bei Leflaive so weit, dass sie nur Homöopathie zugelassen hat. Unter ihrer Führung erstarkten die bewirtschafteten Lagen zu den begehrtesten. Das Decanter Magazin kürte sie 2006 zur besten Weißwein Winzerin der Welt.
Und noch einmal an diesem Nachmittag, der sich langsam in den frühen Abend bewegt, verliere ich mein Herz an den 2005 Meursault 1er „Charmes“ von Francois Mikulsi. Ein leicht rauchiges Aroma, Heu und reife Äpfel. Und Stein. Also Mineralik. Davon gibt es ganz viel.
Ich könnte Justin Leone noch stundenlang weiter zuhören, denn ihm gelingt an diesem Nachmittag, was einen guten Lehrer von einem großartigen unterscheidet. Er vermittelt nicht nur Wissen, sondern auch ganz viel Leidenschaft. An diesem Nachmittag trägt er pinkfarbene Socken zu einem Anzug aus rot-weißem Jacquard und das ist genauso schräg, wie so mancher Vergleich von Musik zum Wein. Ihn zu erleben ist ein Feuerwerk. Eines, das man unbedingt erlebt haben sollte.
Die Tantris Weinschule mit Justin Leone bietet in regelmäßigen Abständen Kurse zu bestimmten Wein-Themen an. Buchbar sind sie hier.
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