4. Oktober 2018

Sturm über der Nordsee, große nordische Küche und ein Abend für die Ewigkeit – Nordjütlands Villa Vest in Lønstrup

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Wenn man von einer Reise erzählt, dann beginnt man von vorne, vom Anfang. Man baut das langsam auf, Schritt für Schritt, Etappe für Etappe. Ich mache das jetzt nicht. Ich beginne mit dem letzten Abend. Dem Abend des Sturms. Als alles grau wurde, das Blaue und das Strahlende verschwanden und es den Regen vom Meer her über das Festland trieb.
Ich bin an die dänische Nordseeküste gereist, was meinen Nachbarn ein wenig verwirrte, denn als ich ihn darum bat, den Heizungsableser in die Wohnung zu lassen, während ich nicht da bin, schaute er nur ein wenig konsterniert und fragte, ob es für die Küste nicht schon ein wenig zu spät sei. Ich erklärte ihm dann, dass es weniger mein Ziel sei, in den Wellen herumzuplanschen, sondern vielmehr das Land, die Menschen und vor allem die Küche dort kennenzulernen. Vielleicht habe ich ihn damit noch ein bisschen mehr verwirrt, denn warum sollte man an die Küste fahren, an weite Sandstrände, wenn man nicht das Verlangen hat auch nur einen Zeh ins Wasser zu strecken. Und warum zum Essen hinfahren? Nun, weil es das ist, was ich nun mal tue. Ich fahre in andere Länder um zu essen. Und genau deshalb muss ich auch mit dem letzten Abend beginnen. Denn dieser war von einer Stimmung bestimmt, wie ich sie vielleicht nicht noch einmal erleben werden darf. Allerfeinste Küche, vor der allerdramatischsten Kulisse.
Meine letzte Station der Reise war der kleine Ort Lønstrup, ein Künstlerdorf in Nordjütland, wo im Winter vielleicht gerade mal 700 Menschen leben, der im Sommer jedoch von zigtausend Touristen aus aller Welt besucht wird. In Lønstrup gibt es keinen breiten Sandstrand wie ein paar Kilometer weiter südlich, hier gibt es nur eine steinige, abfallende Küste. Und genau am Rand dieser Steilküste thront das Restaurant Villa Vest. Der „White Guide“, quasi der Michelin des Nordens, lobt das Restaurant von Küchenchef Anders Johst außerordentlich. Es soll mir gutgehen an diesem letzten Abend. Doch auf das, was mich erwartete, war ich nicht gefasst.

Sturmgewalten

Bereits als ich das Auto vor der Tür abstelle, gelingt es mir kaum die Autotür zu öffnen, so sehr drückt der Sturm dagegen. Ein paar Meter vor mir und etwa fünfzehn Meter tiefer, grollt mir eine aufgewühlte Nordsee entgegen. Weiße Gischt fliegt durch die Luft, die Wellen brechen gegeneinander und ständig rollt von hinten die nächste Welle heran. Ich laufe die paar Stufen hoch zum Restaurant. Plötzlich im Inneren ist keine Küste mehr zu sehen, es ist nur das wilde Meer um mich herum. Das Restaurant liegt genau über der Küstenlinie, so dass der Blick von drei Seiten offen aufs Meer ist. Und mein Platz ist direkt am Fenster. Innen eine elegante, wohlige Atmosphäre und ringsherum die tobende See. Ich bin in diesem ersten Moment komplett sprachlos, starre nur hinunter auf Meer. Ich fühle mich wie auf einem Ozeandampfer (nur, dass ich glücklicherweise festen Boden unter den Füßen habe). Der Regen wird mit ungeheurer Kraft gegen die Scheiben geworfen, ich bin einen Moment fast blind vor lauter Tropfen, nur um diese mit der nächsten Sturmbö kurz darauf weg zu wehen. Wieder ist die Sicht klar. Vermutlich fällt mir die Kinnlade ein wenig nach unten, denn das, was da passiert ist jenseits von allem, was ich je erlebt habe. Nie war ich so dicht dran an dieser wütenden See, nie so nah an den Wellen, die mich in ihrem Bann ziehen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn mir die freundliche Bedienung in diesem Moment gesagt hätte, dass ich soeben meinen Heimatplaneten verlassen habe. Es ist ein Spektakel. Düstere Visionen von Schiffen, die sich durch meterhohe Wellen kämpfen ziehen durch meinen Kopf. Neptuns Toben und diese wilde Düsternis. Und mitten drin ich, die nun auswählen darf, ob sie lieber das Brisket vom Kalb, das Schwein mit Estragon, Ochsenfilet mit Bries oder den gebackenen Seehecht mit Lardo möchte. Das ist in der Tat ein wenig bizarr, sich mitten in dieser tobenden Nordsee zu überlegen, für welchen Gang ich mich entscheiden soll. Das ist dekadent angesichts dieser Naturgewalten. Und doch ist es für die, die hier arbeiten nichts Neues. Um diese Jahreszeit kann das öfters mal vorkommen. Sie geben sich alle gelassen, können sich jedoch dem Bann nicht entziehen. Es ist unheimlich, bedrohlich und faszinierend zugleich.
Und zum ersten Mal erlebe ich das, was vielleicht der große Küchenchef des Ultraviolet, Paul Pairet, in Shanghai damit meint, wenn er von „Essen mit allen Sinnen erleben“ spricht. Wenn dort während des Menüs die Farben an den Wänden wechseln. Um mich herum versinkt eine ungezähmte See langsam in der Nacht. Meine Sinne sind geschärft, es ist ein Erlebnis, das mich aufwühlt und gleichzeitig noch offener für die Wahrnehmung macht.

Das Menü

Zum Auftakt gibt es frisch gebackenes, warmes Sauerteigbrot mit gewürzter Butter. Danach als Amuse ein geeistes Tatar auf einer Estragoncreme. Das eisige Tatar passt gut zu diesem kalten Albtraum an Meer, das vor mir tobt. Doch dann wird es lieblicher. Gepickelte Zucchiniröllchen mit Grünkohlblüten und Johannisbeerblättern beruhigen die aufgewühlten Sinne. Auch der weitere Gang mit Holunderblüte, Oxalis und hauchfeinen Streifen vom dänischen Oktopus sind mild und sehr schmeichelnd komponiert. Es ist ein wunderbarer, glücklichmachender Gang.
Der Schweinenacken der mit Coppa und einer würzigen Rhabarber Sauce mit ultrafein geschnittenen Karotten serviert wird, durfte acht Wochen lang reifen und kommt aus der eigenen Zucht des Restaurantbesitzers.
Das Hühnchen für den folgenden Gang wurde konfiert und wird mit gepickeltem Rhabarber, frittiertem Grünkohl und einer Eigelbcreme serviert. Der Geschmack ist fruchtig und doch wunderbar rund. Und dann gibt es noch ein kleines Pre-Dessert, eine kleine Holunderblütencreme aus Estragonöl mit Apfelsaft, Sauerklee und zermahlenen roten Ameisen. Das ist frisch und kühl und langsam ist es dann auch nur der wohlig warme Raum, den ich wahrnehme. Ich spüre noch den Sturm, wie er gegen die Scheiben drückt, doch draußen ist alles tiefschwarze Nacht.
Das eigentliche Dessert habe ich dann auch schon fast aufgegessen, als mir einfällt, dass ich es ja gar nicht fotografiert habe. Ein cremiges Apfeleis, darüber eine Meringe, mit Blaubeeren und Scheiben von eingemachten Pinienzapfen.

Vielleicht hatte ich den besten Abend für ein solch hervorragendes Menü überhaupt. Allerfeinste nordische Küche mit Zutaten aus der Region. Und wer dies noch erleben möchte, sollte es schnell tun, denn am 20. Oktober schließt die Villa Vest bis zum kommenden Frühjahr ihre Türen. Ab Ende des Monats versinkt der Ort in einen Winterschlaf.
Natürlich kann man von März bis Oktober jederzeit hierherkommen, doch wenn man wirklich etwas erleben möchte, dann sollte man jetzt kommen und vorzugsweise dann, wenn ein Sturm sich nähert. Dann ist das einfach unbeschreiblich. Eine Mischung aus exzellenter Küche und Naturgewalten. Magisch.

 

 

Restaurant Villa Vest
Strandvejen 138, 9800 Hjørring, Dänemark
villavest.dk/restaurant/

 

er hier gehört nicht zum Restaurant. Er steht vor einer Galerie in Lønstrup und bewacht ein kleines Café. Doch zu den Cafés komme ich noch……

Hinweis: Zu dieser Reise wurde ich von Visit Denmark eingeladen. Meinen herzlichen Dank dafür. Dass mich dieses Land, seine Menschen und die Küche so glücklich machen, konnten sie nicht ahnen. Und schon gar nicht kaufen.

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