18. Oktober 2018

Wohin ich fahre, wenn ich den Kopf frei kriegen will – eine Reise an die dänische Nordseeküste

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von Blåvand über Hvide Sande, Klitmøller, Slettestrand, Blokhus nach Lønstrup immer am Meer entlang

Manchmal hat man keinen guten Lauf. Da reiht sich alles, was man sich gerne erspart hätte, hübsch aneinander, wie eine Perlenkette des Grauens. Als hätte etwas die Dominosteine der Hölle angeschubst und sie fallen einer nach den anderen um. Dann, genau dann ist es an der Zeit, den „Reset-Button“ zu drücken, sich rauszunehmen, einfach mal Ruhe einkehren lassen. Jeder hat da so sein eigenes Refugium, in das er sich zurückzieht, wenn dieser Punkt erreicht ist.
Was ich dazu brauche, ist tatsächlich Wind. Ein frischer Wind. Und Meer. Gerne ganz für mich allein. Und gerne auch mal ein bisschen düster.
Als ich Mitte der Achtziger Jahre nach New York City kam, dauerte es nicht lange und ich wollte ans Meer. Es war Ende November und es war Nacht. Nicht gerade Bilderbuchbedingungen, um ans Meer zu fahren. Egal. Ich fuhr trotzdem. Und spürte im Dunkeln diese wunderbare Kraft, die vom Meer ausging. Es war nebelig, die Übergänge von Sand zum Wasser war nur noch zu hören und zu spüren. Und vielleicht es genau dieser Moment, wo ich meine große Liebe zum kalten Meer entdeckte. Wenn ich das Element Wasser nicht wirklich sehen kann, sondern vor allem spüren. Ich fühlte mich unendlich geborgen und gleichzeitig auch allein in diesem Moment.
Aber vielleicht wurde diese Liebe zum Meer und den Wellen (bitte nicht missverstehen, sobald ich auf einem Schiff bin und es stürmisch ist, leide ich wie ein Hund) auch schon viel früher geboren, damals als ich in den Sommerferien auf Sylt war. Ich war dreizehn. Furchtlos rannte ich den Wellen entgegen, überließ mich ihrer Kraft, hielt die Luft an und wurde mehr als einmal über den sandigen Grund gewirbelt. Ich habe seitdem viele Meere gesehen und – liebe Ostsee, liebes Mittelmeer, liebes karibisches Meer, ihr müsst jetzt tapfer sein – ich habe noch nie ein Meer so geliebt wie die Nordsee. Sie ist es einfach für mich. Spröde, ein echtes Alpha-Meer, will mich stets beeindrucken und schafft es auch immer. Egal ob sie silbrig glitzert, ihre Brandung sanft und schmeichelnd ist oder ob sie mich anbrüllt und ihre Wellen mich das Fürchten lehren, sie ist irgendwie präsenter als andere Meere.

Schon bevor ich in Billund gelandet bin, flog der See, den Menschen und den Dünen mein Herz entgegen. Und kaum hatte ich mein Gepäck in Hotel in Nymindegab abgestellt, war ich schon auf dem Weg zum Meer. Durch den Sand über die Düne, dann erstreckte sich ein unendlich langer Sandstrand vor mir aus. Und ich war genau das, was ich sein wollte, nämlich ziemlich allein an diesem Strand.

Seegrasrauschen

Der Wind frischte auf, trieb die feinen Sandkörner wie Schneewehen vor sich her, das Gras in den Dünen rauschte, und vor mir, vor einem leuchtend roten Abendhimmel, streckte sie sich mir entgegen. Hallo Nordsee.
Ich lief immer weiter, spürte, wie mit jedem Schritt und jedem Atemzug, alles, was mich in den Wochen davor an meinen Nerven zerrte, langsam in den Hintergrund trat und mit einer letzten Verbeugung war alles verschwunden. Ich fühlte mich frei und ganz bei mir selbst.

Leuchttürme

Gleich am nächsten Morgen, ich hatte wunderbaren frischen Fisch am Abend davor, fahre ich noch ein wenig weiter in den Süden. Zum Leuchtturm Blåvandshuk Fyr. Er sollte auf dieser Reise mein Erster sein, bevor es weiter in den Norden gehen soll. Ich fahre hoch nach Hvide Sande, halte immer wieder, verfalle auf dem Weg dorthin einem streng riechenden, dänischen Käse, den ich mit hausgemachter Sanddornmarmelade probiere und der so gut ist, dass ich ein großes Stück davon mitnehme, das bis zum Ende Reise in meinem Auto mitreisen darf (sorry, liebe Autovermietung, ich hoffe, ihr konntet das aushalten).
Ich fahre weiter zum nächsten Leuchtturm, Bovbjerg Fyr, wo ich tollen Kuchen bekomme und wieder einen hervorragenden Fisch.

 

Weiter nach Norden

Zum ersten Mal fahre ich mit dem Auto auf eine Fähre, ganze zehn Minuten dauert die Überfahrt und ich hätte bestimmt die letzte Überfahrt an diesem Tag verpasst, hätte mir nicht ein freundlicher Däne geholfen, sie zu finden. Ratlos kreiste ich durch den Hafen und fand nur ein Schild, welches mir mitteilte, dass zu dieser Zeit nur die alte Fähre in Betrieb sei. Überhaupt sind die Dänen einfach ein ganz wunderbares Volk. Freundlich, offen, umwerfend hilfsbereit, fast alle sprechen fließend englisch – alles was ich kann ist auf Dänisch zuprosten – und alle wirken sie sehr entspannt.
Zu dem Zeitpunkt, als ich bei den Surfern in Cold Hawaii in Klitmøller ankomme, bin ich selbst schon so friedlich, dass ich der Sonne bei meinem Spaziergang am Meer entgegengrinse. Auch meine Omega-3 Reserven strotzen zu diesem Zeitpunkt bereits vor lauter Kraft, und natürlich esse ich am Abend sofort wieder Fisch. Wo dann, wenn nicht hier?

Und als ich mich an meinem letzten Morgen, mittlerweile habe ich schon fast das Ende der dänischen Nordseeküste erreicht, der Himmel ist strahlend blau, es ist angenehm warm, auf den Weg zu Leuchtturm Nummer drei mache, da kann ich einfach nicht anders, als mich nach einem Besuch im Café, wo es göttliche Zimtschnecken gab, noch einmal an den Strand zu setzen und mich von der Nordsee zu verabschieden. Erst dann entlässt sie mich zurück in die Welt. Eine halbe Stunde sitze ich auf einem warmen Stein und schaue ihr nur zu, lausche ihr und sauge die salzige Luft tief in meine Lungen.
Ich bin ja jetzt nicht so die Bäume-Umarmerin, lasse nicht allzu oft die Mystik der Natur so dicht an mich heran, doch diese Landschaft und das Meer finden irgendwie sofort einen Weg in die hinterste Ecke meiner Sehnsucht. Sie wohnt genau hier.

Mehr zu Adressen, tollen Cafés, Produzenten und Restaurants gibt es dann im nächsten Bericht von der Küste.

Hinweis: Zu dieser Reise wurde ich von Visit Denmark eingeladen. Meinen herzlichen Dank dafür. Und natürlich kann man das Glück, das ich dort empfunden hab mit keiner Währung der Welt kaufen.

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