„Das ist irgend so ein Berg-Rettich“, meint die Dame, die sich als kompetente Übersetzerin vorstellt und der ich mein Handy mit einem Bild einer Verpackung unter die Nase halte. Ein Berg-Rettich also. Was in aller Welt ist ein Berg Rettich? Die große Suchmaschine gibt sich ahnungslos. Der einzige Grund, weswegen ich am Sonntag auf die japanische Dult in der Münchner Innenstadt fahre, ist die gewünschte Erleuchtung über das, was ich kurz zuvor gegessen habe (gut, es ist nicht der einzige Grund – ich bin süchtig nach Japan und ergreife jede sich mir bietende Gelegenheit, mich mit japanischen Dingen zu umgeben). Ich habe es aus Tokio mitgebracht. Wie ich so vieles mitgebracht habe, aber hier war ich mir ziemlich sicher, dass es sich um Auberginen in Miso handelt. Kaum hatte ich die Packung geöffnet und den ersten Bissen probiert, war mir sofort klar, dass es ganz sicher keine Aubergine sein kann. Das Fleisch viel zu knackig und fest. Es schmeckte nach würzigem Miso, süßlich mit einem leichten säuerlichen Kick. Ganz klar, das muss ein Rettich sein. Allein, die kleine Zeichnung auf der spärlich (japanisch) beschrifteten Verpackung, lässt nicht auf einen Rettich schließen. Die Zeichnung ähnelt eher einer Seegurke. Nur gibt es vermutlich in Yamagata, wo diese köstliche Kreation ihren Ursprung hat, keine Seegurken.
Also dann wird die Verpackung fotografiert und mitgenommen. Werden doch hoffentlich genug japanisch kundige Kulinariker auf dieser Japan Dult zu finden sein. Immerhin findet sie nur einmal im Jahr statt. Und hier werde ich mit dem ominösen Berg-Rettich konfrontiert. An sich ein reizvoller Gedanke, wie so ein Rettich in den Bergen auf eine Länge von annährend zwanzig Zentimetern anwächst, aber so sehr ich das auch in meiner Vorstellung drehe und winde – der vermeintliche Rettich erscheint rätselhaft.
Zeitsprung – ich bin in Tokio, es ist früher Abend und ich besuche zusammen mit meinem Bekannten Toshiya, dem Leader von Slow Food Tokio, einen kleinen Antenna Shop seiner Heimatpräfektur Yamagata. Versteckt in einer kleinen Seitenstraße im Stadtteil Suginami, wirkt das Café von außen eher unscheinbar. Hier gibt es guten Sake, meint Toshiya. Ich komme erst gar nicht bis zum Tresen, sondern werde bereits kurz hinter dem Eingang von einem Kühlschrank in den Bann gezogen. Hier liegen lauter spannende Sachen. Undefinierbare Sachen. Ich bin in abenteuerlicher Kauflaune und schnappe mir als erstes eine vakuumierte Tüte mit etwas, das ich als Miso identifiziere und mit braunen, fermentierten Gemüse Stücken. Ich tippe auf Auberginen.
Bestimmt frage ich Toshiya an diesem Abend was darin sein mag und vermutlich habe ich den Gedanken daran sofort mit einem Schluck Sake runter gespült. Erinnerung? Als sei sie niemals dagewesen. Stattdessen jubiliere ich ob des seidigen Tofus, der mit einer Graupen-Gemüse Sauce und Bonitoflocken serviert wird. Der Herr am Ende des Tresens möchte gerne mit mir Konservation machen und lässt sich auch nicht weiter davon abhalten, dass ich mit Gesten zu verstehen gebe, dass ich kein Wort japanisch spreche. Sake Vorsprung, da nimmt man das nicht mehr so genau mit der Sprache. Ich koste noch mehr kleine Gemüseteller, während ich den Sake Yamagatas genauer kennenlerne.
Das fermentierte Miso Gemüse wird zusammen mit zwei weiteren kleinen Flaschen Sake in eine Tüte gepackt, verschwindet noch in der gleichen Nacht in den Tiefen des Koffers und landete einen Tag später in meinem Kühlschrank.
Da liegt es nun also und jeden Tag streicheln liebevolle Blicke diese Tüte. Tendenziell kann dieser Habitus ohne weiteres auf mehrere Jahre verlängert werden, doch in diesem Fall nagt die Sorge um das Mindesthaltbarkeitsdatum. Es ist keines darauf zu finden. Ich muss mich entscheiden. Jetzt ist der Tag gekommen, da die Packung geöffnet wird. Ich koche japanischen Reis. Ein hübsches Topping drauf würde sich sicherlich auch gut machen.
Unsicher, ob es sich bei besagtem Gemüse wirklich um den vermeintlichen Berg Rettich handelt, schicke das Bild an Toshiya und seine Frau. In Tokio ist es tiefe Nacht. Mit Spannung erwarte ich die Antwort am nächsten Morgen.
Es ist eine Gurke.
Eine in Miso fermentierte Gurke.
Ohne Zweifel – dies ist die beste Gurke, die ich je in meinem Leben gegessen habe. Sofort schmiede ich Pläne, tiefer in die Kunst der Fermentierung einzusteigen. Besser, ich fahre gleich nach Yamagata und suche sie.
Einfacher wäre es sicherlich, beim nächsten Besuch in Tokio wieder hinzufahren. Wer auch immer vor mir dort sein sollte – Care Pakete mit Miso-fermentierter Gurke werden dankbar angenommen.
Und damit dieses bezaubernde Café (Antenna Shop der Präfektur Yamagata) auch jeder findet:
Koenji Junjo community Cafe & Shop ‚IIDE‘
2-7-6, Koenji-Kita, Suginami, 166-0002 Tokyo, Japan
+81-3-5356-9922
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