In den Nächten zwischen Dezember und Januar unweit der Niagara Fälle, wacht die „Eis-Polizei“ über die Trauben. Dann, wenn die Temperatur mehrmals auf -8° fällt, idealerweise um die -10°, geht es los. Die Trauben müssen gepflückt werden. Es gilt den perfekten Zeitpunkt dafür zu finden. Es ist ein bisschen wie russisches Roulette. Fallen die Minusgrade weiter, müssen die Windanlagen angeworfen werden, welche die Rebstöcke vor dem Erfrieren retten sollen. Und es muss schnell gehen.
Inniskillin, das Weingut aus der kanadischen Provinz Ontario, ist spezialisiert auf Eiswein und wurde hierfür vielfach ausgezeichnet. Immerhin gibt es nicht viele Nationen, die sich mit der Produktion von Eiswein rühmen können. Deutschland gehört auch dazu. Hierzulande sind es die Riesling Trauben, welche nur alle paar Jahre, wenn es die Winter erlauben, zu Eiswein verarbeitet werden. Führend in der Eiswein Produktion ist Kanada. Die klimatischen Bedingungen hier sind perfekt. Warme Sommer in denen sich die Trauben, vorwiegend die Sorte Vidal, mit Sonne vollsaugen dürfen und klirrende Kälte im Winter.
Und so ist es mehr als nur eine glückliche Vorfreude, die mich überfällt, als die Tourismusbehörde von Ontario und die Inniskillin Winery mich zu einer Weinverkostung mit Menü in die Kounge in München einladen. Chefkoch Tim Mackiddie von Inniskillin reist ebenfalls zu diesem Anlass hierher. Es gibt nur zwei Stationen in Europa. London und München.
Empfangen werde ich mit einem Glas „Sparkling Icewine“. Prickelnder Eiswein? Noch nie zuvor habe ich etwas Vergleichbares getrunken. Reiche, füllige Noten von Früchten, aber auch eine gewürzige Säure prallen hier mit dezenter Perlage auf die Papillen. Noch vor einigen Minuten hastete ich durch die Straßen, hatte mich mit der Tramverbindung mal wieder ein wenig vertan, und jetzt katapultiert mich dieses einzige Glas in einen wohligen Raum. Dankbar nehmen die Sinne diese Aromenwucht auf.
Die Besonderheit dieser Lokalität ist die große Küche, welche, durch einen Pass getrennt von der langen Tafel, sofort dazu einlädt, sich um den Herd zu versammeln. Während Stacey von Inniskillin uns mehr über das Weingut und den prickelnden 2012er Sparkling Vidal Icewine in unseren Gläsern erzählt, bereitet Tim die kleinen Amuse zu. Er hat sich bei seinem vormittäglichen Besuch auf den Märkten in München vom lokalen Angebot inspirieren lassen und schwärmt von den großen Brezen. Die haben es ihm angetan. Er schneidet sie in feine Scheiben, röstet sie und belegt sie mit einem würzigen Tatar. Kurz angebratene Jakobsmuscheln schneidet er ebenfalls in feine Scheiben, platziert darauf ein Löffelchen Rettichsorbet und serviert dies auf einer Reduktion aus Teriyaki Sauce. Das sind aufregende Kombinationen, die jetzt am Gaumen tanzen, denn noch immer trinken wir den prickelnden Eiswein dazu. Das ist kühn und so ganz nach meinem Geschmack, mal nicht Dessert mit Dessertwein zu kombinieren, sondern diese üppige Fülle an würzig-säuerlichen Noten mit Rettich und Kräutern zu paaren.
Bevor es mit der Vorspeise weitergeht, lässt uns Barbara Wanner von Riedel, den 2012 Chardonnay, Montague Vineyard von Inniskillin aus zwei unterschiedlichen Gläsern kosten. Der Effekt ist mir bereits bekannt, dass je nach „Kamin“ der Wein eine ganz unterschiedliche Wirkung und Wahrnehmung erzeugen kann. Sie hält beispielsweise die Champagner Flöte für das dümmste Glas der Welt. Aha, denke ich. Das sagt sie bestimmt jetzt nur, damit ich mich endlich von den armseligen Gläsern in meinem Schrank trenne. Irgendwie erscheint mir der Gedanke trotzdem willkommen, denn alles, was mich bisher an der Anschaffung neuer Gläser hinderte, waren reine Platzgründe. Zwei Sorten seien ihrer Meinung nach ausreichend.
Der Chardonnay begrüßt mich mit einem Duft von frischen Brioche und Pfirsichen, greift dann aber tiefer in die Gewürzkiste und bringt Anklänge von Nelken und Vanille und reifen Früchten. Der Zander, der rustikal-elegant auf Gnocchi in einer getrüffelten Kartoffel-Consommé mit Speck serviert wird, passt ausgezeichnet dazu.
Zum Hauptgang, einer geräucherten Entenbrust auf Puy Linsen mit Wirsing, glacierten Möhren und kandiertem Knoblauch steigen wir um auf 2011 Pinot Noir Montague Vineyard. Im Eichenfass gereift, ist dieser noble Wein eine schöne Entdeckung, doch – ich gebe das offen zu – vom Erlebnis her bei weitem nicht so beeindruckend wie die Komplexität des Eisweins. Ordentlich gemacht, aber nicht so tiefgründig.
Ich erzähle ja immer gern, dass ich am liebsten auf das Dessert verzichte und stattdessen noch ein Glas Wein trinke. Das darf auch sehr gerne ein Dessertwein sein. Hier ist der 2012 Icewine Vidal Niagra Estate der Höhepunkt des Abends. So leid es mir tut, du kleines Schokotörtchen. Auch wenn du entzückend neben der Bayerisch Creme und dem Knupser aussiehst und mich lockst, gegen den Eiswein kommst du nicht an. Ölig-golden schimmert es im Glas. In einem eigens zusammen mit Riedel entwickelten Glas. Ein Glas, welches dem ausladenden Bouquet dieses Weins seinen Raum und seine Bühne gibt. In das ich hineinsinken kann.
In diesem Moment bin ich all den Menschen dankbar, die mir dieses Geschenk machen, die in der Nacht mit klammen Fingern die Reben ernten, die mit viel Feingefühl den Wein zu dem machen, was ihn so begehrenswert macht und die mir dieses Erlebnis heute bescheren. Das ist nicht einfach nur ein komplexer Süßwein mit vielen Facetten, einer schmelzigen Säure und einem Bouquet von trockenen Früchten, Safran und frischen Röstnoten, das ist die Eiskönigin höchstpersönlich.
Eiswein ist teuer, kostbar und eine Rarität.
Ganz nebenbei erfahre ich an diesem Abend, dass die Kanadier aus der Ontario Gegend ein ausgesprochen feierfreudiges Volk sind. Auf meine Frage an Diane vom Ontario Tourism Marketing, ob es dort besondere kulinarische Feste gäbe, antwortet sie nur „Eines? Es gibt fast jedes Wochenende eins“. Na dann – zum Wohl, Ontario!
Halt – eines habe ich noch vergessen zu erwähnen. Es gab noch etwas an diesem Abend, was uns in Entzücken versetzte und das war Butter. Butter? Richtig. Butter. Eine Butter, die mit einer Reduktion aus Eiswein gewürzt wurde. Doch das ist eine andere Geschichte. Diese Butter wird noch ihren Auftritt bekommen. Was ich damit kochen werde? – seid gespannt….
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