Lyon – ich wollte schon immer nach Lyon. Schon als ich in den 90er Jahren in einem Genussmagazin einen Bericht über die Markthallen in der Stadt gelesen habe. Und später, als ich das zweite Buch von Bill Buford, einem renommierten Autor des Magazins The New Yorker, kaufte, den es für ganze fünf Jahre nach Lyon verschlagen hatte, weil er dort die französische Küche erlernen wollte. Große Namen wie Paul Bocuse sind mit Lyon verbunden. Vor langer Zeit besaß ich ein Kochbuch über die cuisine lyonnaise das leider zwischen mehreren Umzügen verloren gegangen ist. Erst jetzt habe ich es endlich geschafft, Lyon zu entdecken. Und auch wenn das mit der Tradition und Moderne ein wenig abgedroschen klingt – Lyon erfindet sich immer wieder neu und ist dennoch ganz nah dran an seinen Wurzeln, ganz besonders den kulinarischen. Meine erste Frage an Irène, die unsere kleine Gruppe begleitet war also: „Welches Gericht steht für Lyon, das ich meinen Leser:innen mitbringen kann“? Die Antwort bringt mich ein wenig in die Bredouille, aber dazu später.
- Warum Lyon zum Zentrum der Gastronomie wurde
- Welche besonderen Gerichte haben die Mères lyonnaises geprägt?
- Die pinkfarbene und epische Süßspeise von Lyon
- Streifzüge durch die Stadt
- die schönste Cocktailbar der Welt
- Les Halles Paul Bocuse und das ikonische Gericht der Stadt
- Dinieren über den Dächern der Stadt
- Und wo übernachten?
- versprochen ist versprochen und was demnächst folgt
Warum Lyon zum Zentrum der Gastronomie wurde
Die Römer mal wieder. Sie waren natürlich als erste da. Erkannten, welche geografischen Vorzüge die Gegend zu bieten hatte und gaben der Stadt den Namen Lugdunum. Bereits im 2. Jahrhundert n.Chr. florierte hier der Handel mit Wein. Aus Lugdunum wurde im Lauf der Jahrhunderte Lyon – wie so vieles in der Sprache, vereinfachte sich auch dieser Name. Kulinarisch bedeutsam wurde Lyon im 16. Jahrhundert durch die Ehefrau Heinrichs IV von Frankreich (1553-1610). Maria von Medici brachte ihre florentinischen Köche mit an den Hof und diese waren begeistert von den Produkten aus der Gegend Lyons. Plötzlich hatten Hühner aus Bresse, Wein aus dem Beaujolais und Charolais Rinder royalen Status. Diese Popularität hält bis heute an und noch immer weckt allein der Name „Bresse-Huhn“ bei Feinschmeckern auf der ganzen Welt Begehrlichkeiten.
Doch die Royals waren nicht die einzigen, welche die Küche Lyons maßgeblich beeinflussten. Es waren vor allem die „Mères lyonnaise“ – die Mütter Lyons. Gemeint waren Frauen aus eher einfachen Verhältnissen, die in den wohlhabenden Haushalten kochten und von denen viele während der Weltwirtschaftskrise und den Weltkriegen ihre Anstellungen verloren. Um zu überleben, eröffneten sie kleine Gaststätten, die sogenannten Bouchons, in denen sie einfache Gerichte servierten und für die Lyon bis heute berühmt ist.
Zwei ihrer wichtigsten Vertreterinnen sind:
Mère Fillioux (1865–1925) Ihr berühmtestes Gericht war Volaille demi-deuil – Huhn „in Trauer“, das mit Trüffelscheiben unter der Haut gegart wurde.
Ihre Schülerin Mère Brazier (Eugénie Brazier) wurde zur Legende: 1933 war sie die erste Frau, die drei Michelin-Sterne erhielt, und das gleich zweimal – für zwei verschiedene Restaurants! Sie war auch die Mentorin von Paul Bocuse, der sie später als „die wahre Mutter der französischen Küche“ bezeichnete.
Die Mères waren Pionierinnen, die lange bevor „Farm-to-Table“ ein Begriff wurde, enge Verbindungen zu ihren lokalen Produzenten pflegten und mit ihrer Popularität auch vielen Frauen den Weg in die Sternegastronomie ebneten.
Welche besonderen Gerichte haben die Mères lyonnaises geprägt?
• Quenelles de brochet (Hechtklößchen in Sauce Nantua)
• Cervelle de canut (Kräuterfrischkäse)
• Andouillette (kräftige Wurst)
• Poulet de Bresse à la crème (Bresse-Huhn in Sahnesauce)
• Tarte aux pralines roses (Mandeln, überzogen mit einer rosafarbenen Zuckerschicht. Die Farbe, die heute künstlich oder aus dem Saft Roter Bete hergestellt wird, war ursprünglich der rote Farbstoff Karmin, der aus Cochenilleschildläusen gewonnen wird)
Die pinkfarbene und epische Süßspeise von Lyon
Gerade genieße ich den Schatten. Es ist unfassbar heiß an diesem Tag. Am liebsten möchte ich mich von den kühlen Steinen im Grand Hotel Dieu, einem einzigartigen Monument im Zentrum der Altstadt, nicht mehr wegbewegen. Da packt Laura vom Tourismusbüro ein Mitbringsel für uns aus. Praluline. „Das müsst ihr probieren“. Kein Gebäck hat mehr Kultstatus in Lyon. Es ist ein buttrig-luftiger Briocheteig gefüllt mit den „Pralines roses“, den rosa umhüllten Mandeln.
Erfunden hat sie 1955 August Pralus. Noch heute ist die Patisserie Pralus die einzige Bäckerei, die sie Praluline nennen darf. Das Rezept ist geheim und geschützt. Angeboten wird dieses Gebäck auch in anderen Bäckereien. Jedoch nicht unter diesem Namen.
Doch wie schmeckt sie denn nun? Sie ist ganz frisch und sie ist grandios. Ein Frühlingsmorgen in rosa Zuckerwatte. Die fluffige Brioche schmiegt sich an den Gaumen, die knusprigen Mandeln geben dem Ganzen das Besondere. Ich esse nicht nur ein Stück des kleinen Kuchens, ich esse drei (sie sind wirklich nicht groß). Das Gebäck will frisch verzehrt werden, weswegen es sinnlos ist darüber nachzudenken, ob man eine Praluline mit nach Hause nahmen sollte. Sie wurde dafür gemacht möglichst schnell aufgegessen zu werden. Was auch nicht schwerfällt, so köstlich wie sie ist.
Streifzüge durch die Stadt
Wer sich die Altstadt von Lyon auf einer Landkarte anschaut, dem fällt sofort auf, was besonders kostbar ist. Platz. Der Platz auf der Insel zwischen den Flüssen Saône und Rhône ist begrenzt, weswegen man erfinderisch sein musste, was die Bebauung angeht. Manche der alten Häuser stehen so dicht, dass man die Straßen ins Innere verlegen musste. So entstanden die Traboules. Wege, die durch die Häuser führen, durch die man auch heute noch durchlaufen kann und an deren Regeln man sich auch halten sollte: Möglichst leise sein, um die Anwohner nicht zu stören.
In den alten Gassen mit ihren kleinen Geschäften entdeckt man, wofür Lyon einst noch berühmt war. Für die Herstellung von Seide. Wer nach einem kunstvollen Seidenschal sucht, der wird hier fündig. Wer sich auskennt (ich tu das, weil ich das mal studiert habe), dem fällt vielleicht auf, dass ein großer Anteil dieser Schals nicht mehr den für Seide so typischen handrollierten Saum hat, sondern maschinell gesäumt wurde. Im Gespräch mit einer Mitarbeiterin in einem Seidengeschäft erfahre ich, dass es noch ein weiteres Qualitätsmerkmal für Seidenschals aus Lyon gibt. Normalerweise wird der handrollierte Saum, wobei man die Ränder ein wenig einrollt, zur Unterseite hin mit Stichen befestigt, doch nur hier dreht man den rollierten Saum nach oben. Wer schon immer beim Wissen um Seidenschals mit etwas unnützem Wissen punkten wollte – dieser Fakt ist nur wenigen bekannt.
die schönste Cocktailbar der Welt
Le Dôme – eine epische Cocktailbar unter einer riesigen Kuppel. 2020/2021 wurde sie zur schönsten Hotelbar der Welt gekürt. Hierher kommt man, wenn man tagsüber Tee und eine Etagère mit Köstlichkeiten genießen möchte. Und man kommt am Abend, wenn man ganz besonders außergewöhnliche Cocktails genießen möchte. Ich hätte gerne NYX, eine Kreation aus Bourbon, Sesamöl, rotem Lillet und Verjus. Dummerweise ist es noch früh am Nachmittag und ich werde noch eine ganze Weile durch die Stadt laufen. Es sind nicht die 21€ für einen Cocktail, die mich hier abschrecken, es sind die 35°C draußen, die sich mit einer leicht benebelten Birne noch schlechter ertragen lassen. Ich verzichte. Seitdem geht mir der Drink nicht mehr aus dem Kopf.
Le Dôme (im Hotel Intercontinental)
20 Quai Jules Courmont, 69002 Lyon
Les Halles Paul Bocuse und das ikonische Gericht der Stadt
Die ursprünglichen Markthallen, die Halles des Cordeliers, erbaut 1859 im Stil der Pariser Baltard-Hallen, gibt es nicht mehr. Zu eng, zu unhygienisch und mit dem Auto nicht gut zu erreichen, fiel der Bau 1971 der Abrissbirne zum Opfer. Großzügiger und moderner wurden sie im 3. Arrondissement neu erbaut: Les Halles de Lyon – Paul Bocuse. Steht man vor den Markthallen lächelt der große Küchenmeister mich überlebensgroß von der anderen Straßenseite aus an. Claire von Tasty Lyon wird uns an diesem ersten Morgen in der Stadt durch die Hallen führen. Ich habe vorsichthalber das mit dem Frühstück ausgelassen, auch wenn die frischen Croissants einen geradezu unwiderstehlichen Duft ausströmten. Das ist ja nicht meine erste Food-Tour und ich weiß, dass man immer mit ordentlich Platz im Magen da antreten sollte.
Erster Stop: La Mère Brazier
1933 war sie die erste Frau, die drei Michelin-Sterne erhielt, und das gleich zweimal – für zwei verschiedene Restaurants! Sie war auch die Mentorin von Paul Bocuse, der sie später als „die wahre Mutter der französischen Küche“ bezeichnete. Das Restaurant wird noch heute von ihren Nachkommen weitergeführt. Hier probiere ich zum ersten Mal Quenelles de brochet (Hechtklößchen in Sauce Nantua). Luftig und zart sind diese Klößchen, die hier in Scheiben und nicht in der üblichen Nocken-Form serviert werden und die man in die Hummersauce stippt. Die Sauce ist genau die Art von Sauce, vor der ich innerlich einen Kniefall mache. Ich kann nicht genug kriegen von dieser unglaublichen Sauce und wünsche mir innerlich (und dafür schäme ich mich natürlich ein bisschen), dass die Journalistin neben mir, mit der ich mir eine Portion teilen soll, Veganerin ist und ich somit alles für mich habe. Ist sie nicht. Dumm gelaufen. Außerdem gibt es hier noch eingemachte Kardonen (ein artischockenartiges Wintergemüse) in einer würzigen Béchamel Sauce. Ebenfalls grandios. Eigentlich bin ich jetzt schon wunschlos glücklich.
Zweiter Stop: Charcuterie Bobosse
Wer in Lyon „Pastete“ sagt, der kommt um Bobosse nicht herum. Bobosse ist die Premiumadresse für feinste Wurstwaren, Schinken und Pasteten. Es sind die hochwertigen Zutaten, bestes Fleisch aus der Region, die hier den Ausschlag geben. Natürlich gibt es hier auch Lyoner, die Wurst meiner Kindheit, die ich noch heute am liebsten in einem Wurstsalat mit Käse, Zwiebeln und Gürkchen esse, doch ganz besonders ist hier die Auswahl an feinen Pasteten. Das einzige, was ich hier mitnehmen kann sind Gratons lyonnais – eine knusprige Schweineschwarte zum Knabbern. Die braucht keine Kühlung.
Dritter Stop: Mons – Käse, Beurre de Bresse und Milchprodukte
Die Käserei Mons ist eine sehr renommierte affineur-geführte Institution mit Sitz in Saint-Haon-le-Châtel.
Mit Käse bekommt man mich ja immer. Eine kleine feine Auswahl ist für jeden vorbereitet. Mit dabei der geliebte würzige Comté. Ich glaube ja, man kann in ganz Frankreich keinen schlechten Käse essen und deshalb sind die vier Käse natürlich ausgezeichnet. Ein Glas frischer Weißwein passt gut dazu (ich lege langsam meine Bedenken von wegen Hitze draußen ab). Als Extra gibt es noch einen besonders cremigen Époisses, der zu meinen absoluten Lieblingskäsen gehört. Außerdem gönne ich mir hier noch einen kleinen Karamell-Flan. Göttlich!
Das süße Finale: Pâtisserie Bouillet
Auf Instagram hat Sébastien Bouillet über 175.000 Follower. Seine Kreationen sind beeinflusst von Lyon und Tokyo. Seine beiden Standorte. Hier gibt es eine berauschende Auswahl Pralinen, Petit Fours und Törtchen. Mit Yuzu, Beeren oder hauchfeiner Schokolade. Es ist ein Fest. Glücklich machende Zuckerkunstwerke.
Und was gibt es sonst noch?
Alles, was das Leben schöner macht und köstlich ist. Erstklassiges Geflügel, natürlich Gemüse und Früchte, Fische und Meeresfrüchte und ein Restaurant nur für Froschschenkel (die hätte ich zu gern probiert).
Dinieren über den Dächern der Stadt
Vom Place Bellecourt, dem zentralen Platz in der Altstadt, wo man auch das Tourismusbüro findet, hat man einen ausgezeichneten Blick auf die Basilika Notre-Dame de Fourvière, die hoch über der Stadt thront. Unweit davon befindet sich das Restaurant und Bistro von Christian Têtedoie, der mit einem grünen Michelinstern ausgezeichnet wurde. Hier oben im Bistro hat man einen grandiosen Blick über die ganze Stadt. Die Gerichte sind eher casual und von ausgezeichneter Qualität. Es ist die Mischung, die hier begeistert, die Aussicht, ein gutes Glas Wein und gegrillter Oktopus und natürlich die Stimmung. Hier hoch kommt man übrigens am besten mit der Seilbahn.
Christian Têtedoie LE ROOFTOP Cuisine d’été
4, Rue Pierre Marion 69005 | Lyon
Und wo übernachten?
Mit viel Fingerspitzengefühl für moderne Kunst und stilvolles Ambiente in einer perfekten Lage mitten in der Altstadt bietet das 4* Hotel de Verdun 1882 die beste Ausgangsbasis für jegliche Unternehmungen in Lyon. Es ist eines von einer Handvoll historischer Hotels in der Stadt. Die heutigen Eigentümer Isabelle und Gilles Moynier wollten mit der Renovierung des Hotels einen Platz für Reisende schaffen, wo sie sich wohlfühlen und ihnen Ruhe und Komfort bietet. Das ist ihnen gelungen.
Das Frühstück ist ausgezeichnet und man sollte unbedingt die kandierten Kumquats probieren.
Hotel de Verdun 1882
82 rue de la Charité
69002 Lyon
versprochen ist versprochen und was demnächst folgt
Ich habe mich zu einem Versprechen hinreißen lassen. Ich will nach einem Originalrezept von Paul Bocuse die Quenelles de brochet nachkochen (genau das nannte Irène auf meine Frage nach dem typischsten Gericht). Idealerweise mit Zander, der ist ein wenig leichter zu bekommen als Hecht. Aufwändig ist das mit der Hummersauce ja auch überhaupt nicht (an dieser Stelle kann verzieht sich mein Mund in leichter Qual), ganz zu schweigen von der Angst, dass die Klößchen sich beim Garen im Wasser auflösen. Was ich dafür bekomme? Nichts. Vermutlich nicht mal Ruhm und Ehre. Ein wohlwollendes Nicken aus Frankreich wäre schön, schließlich ist die klassische französische Küche nicht gerade meine Paradedisziplin. Aber ich will es ja unbedingt wissen.
Offenlegung: Die Reise nach Lyon erfolgte auf Einladung von ONLYLYON Tourism & Conventions. Die Eindrücke sind wie immer ganz die meinen.
0 Kommentare