„Wow“, Fausto ist begeistert. Bei diesem „Wow“ neigt sich sein Oberkörper leicht nach hinten, die Unterarme werden dabei nach außen gedreht. So ein „Wow“ ist das. Fausto ist Stylist und hat mir soeben ein hautenges schwarzes Kleid mit einem aus Pailletten bestickten Schwertfisch darauf verpasst. Davor war es ein golden glänzender Faltenrock mit einem Strickoberteil. Das sei aber zu warm für die Party am Abend. Richtig, hier in Mailand ist es warm. Und wie das hier schon alles vermuten lässt, soll ich heute Abend glitzern. Das ist schließlich Faustos Job. Mich glitzern zu lassen. Nebenbei schiebt er mir noch die Karte eines Freundes zu. Arbeitet bei La Rinascente in der Kosmetikabteilung, bei Dolce & Gabbana. Der könnte mir mit dem spektakulären Make-up behilflich zu sein. Die Zeit rennt.
Ich bin in Mailand zur Fashion Week, weil ich dieses Hiersein gewonnen habe. Die italienische Modemarke Marina Rinaldi hatte zu einem Schreibwettbewerb aufgerufen. Ich habe geschrieben. Ganze mondäne 140 Wörter war meine Geschichte lang. Länger durfte sie auch nicht sein. Und ich habe gewonnen. Ein Wochenende in Mailand habe ich gewonnen, Flug, Hotel und Teilnahme am Fashion Event des Hauses. Dazu noch Stylingberatung und ein Einkaufsgutschein. Und genau darum geht es gerade, während ich mich wieder aus meinem Schwertfischkleid schäle. Schließlich soll ich beeindrucken heute Abend. Mehr Kleider werden angeschleppt. Am liebsten sähe er mich in einer Lederjacke mit Spitzenrock und schweren Bikerstiefeln. Wäre dieser Event im Winter, könnten wir durchaus über diese Option reden, doch es ist nicht Winter, draußen hat es immer noch über 20°. Er wedelt mit einem Lurexkleid in herbstlichen Farben vor mir. Dann bringt seine Kollegin ein langes schwarzes transparentes Kleid übersät mit glitzernden Pünktchen (mit Unterkleid natürlich). Wieder verziehe ich mich artig in meine Kabine um es anzuprobieren. Und dieses Mal gibt es sogar Applaus. Das, genau das sei es. Mein Kleid. Dazu eine lange, leichte Jacke (zu dumm aber auch, dass es zu warm ist für die gefütterte Lederjacke).
Mit einer großen Tüte verlasse ich den Laden und wäre es nach Fausto gegangen, wäre ich jetzt um einige tausend Euro ärmer. Er hat nur seinen Job gemacht (und das gut) aber die Vernunft siegte.
Es glitzert… und kein Essen in Sicht
Den ganzen Tag hatte ich bis auf eine Piadina, eine Art Sandwich, noch nichts gegessen und ich war voller Hoffnung, dass es beim Event Abends etwas Feines gäbe. Schließlich müssen sie hier auch mal was essen. Dachte ich. Zeit für Dolce & Gabbana war natürlich auch nicht mehr. Tick, Tack… bald beginnt die Show. Heißt also selber ran an die Pinsel.
Mailand um diese Jahreszeit muss man mich so vorstellen, dass die Stadt bevölkert ist mit einer ganz besonderen Sorte Menschen. Menschen, die auffallen wollen um jeden Preis. Und damit meine ich jeden Preis. Zumindest die Füße leiden am allermeisten. Wer hier keine mörderisch hohen Stilettos trägt, ist raus aus dem Spiel. Ich trage Boots, damit komme ich durch. Geht um die Aussage. Fashionmäßig.
Mein Magen hängt kurz nach 18:00 Uhr, wo der Event beginnen soll, mir bereits auf Kniehöhe. Neben mir hält ein Großraumtaxi mit sehr sorgfältig gestylten Damen. Natürlich alle in der Garderobe von Marina Rinaldi. Mein Kleid ist dummerweise auch dabei. Doch das wird nicht das letzte Mal sein, dass es mir an diesem Abend begegnet.
Der Event findet in einem kleinen Theater statt. Auf der Bühne posieren einige Models als würden sie gerade fotografiert. Dann erscheint die Ikone des Abends. Ashley Graham. Das Testimonial der Marke. Und das sicher berühmteste Model mit Kurven. Vermutlich war ich die einzige, die sie noch nicht kannte. Ashley ist eine wunderschöne Frau, anmutig mit fabelhaften Kurven. Der Saal applaudiert frenetisch. Ich halte mich derweil an meinem dritten Glas Prosecco fest und meine Gedanken kreisen um die quälende Frage, wo denn nun endlich das Buffet aufgebaut wird. Natürlich wird es kein Buffet geben. Kleine Windbeutel mit einer Garnelenpaste müssen reichen. Die sind so schlecht, dass ich es freiwillig sein lasse.
Es geht hier ja auch nicht ums Essen, Claudia! Das habe ich spätestens jetzt auch kapiert. Und mal ehrlich, wer will schon ein Canapée, wenn man ein Selfie mit Ashley Graham haben kann? Wie kann man nur an einen Teller mit Nudeln denken, wenn die Fashionblogger hier grad ausflippen. Es sei ihnen ja gegönnt.
Und dann stehe auch ich neben dieser Ikone mit den ausladenden Kurven. Sie nimmt mich ganz bezaubernd in den Arm, lächelt, ein Fotograf geht auf die Knie und zack! – das wars. Mein Moment mit Ashley Graham.
Fabiana, die Siegerin aus Italien, die ich schon am Nachmittag im Shop kennengelernt habe, will auf jeden Fall danach noch was Essen gehen. Mir ist alles recht. Zwei Stunden später trotte ich ergeben hinter ihr und ihren Freunden her. Hauptsache Essen. Sogar das so ziemlich mieseste Sushi meines Lebens konnte an diesem glücklichen Frieden nichts mehr ändern. Sitzen. Endlich sitzen.
Das mit dem Essen musste also noch ein wenig länger warten. Bis zum kommenden Mittag. Dann endlich saß ich im Ratanà, einem fabelhaften Restaurant, das ich schon vor zwei Jahren, als ich zur Expo hier war, besucht hatte. Zum Rindermark gab es frisch geröstetes Brot und einen Salat aus Gartenkräutern, danach luftige Gnudis, Ricotta Klößchen, mit Petersilienpesto und Sonnenblumenkernen. Ich gönnte mir einen biodynamischen Wein. Obvius Giallo IGT 2016 von Salcheto, ungefiltert und aus der südlichen Toskana. Sehr harmonisch zu meinen fluffigen Ricotta Klößchen.
Was Fashion mit Food gemeinsam hat
So einiges. Auch wenn ich glaubte, mich hier auf fremdem Terrain zu bewegen, so gibt es hier doch immens viele Parallelen. Modeerscheinungen – kennen wir doch alle. Auch beim Essen. Jeder rennt grade den Poké Bowls hinterher, als gäbe es kein Morgen. Trends? Natürlich. Auch beim Essen gibt es Trends. Und schließlich kann jeder selbst entscheiden, ob es nun die Besinnung auf das ganze Tier oder die ganze Pflanze ist, oder eben ein Pulli mit einem kraftvollen Motto vorne drauf. Ob die Röcke kurz oder lang sind, ob Tahini, Cashewmus und Miso in keiner Küche fehlen dürfen, ob wir wie wild fermentieren oder Lederjacken zu schwingenden Kleidchen tragen. Immer wird es Trends geben. Egal ob die Vorboten nun Heston Blumenthal oder Tom Ford heißen. Und wir brauchen sie, diese Trends. Sie erhalten den Fluss aus ständigen Neu- und Wiederfinden am Fließen. Sie inspirieren uns und wir folgen ihnen. Foodfotografie wird plötzlich dunkel und mystisch? Yeah! Graue Haare sind plötzlich hip? Gleich nochmal Yeah!
Das Rad dreht sich eben nicht nur um Smoothies, Poké Bowls und Low Carb. Es dreht sich immerzu. Auch, und seit jeher, genauso um die Mode. Jeder kann sich seine Spielwiese aussuchen.
Meine ist und bleibt die Küche. Das Glitzerkleid kann ich trotzdem gut brauchen. Schließlich kann man auch auf Dinner-Events glänzen. Dort ist die Gefahr dann auch geringer, dass die Damen am Tisch das gleiche Kleid tragen.
Sehr schöner Bericht! Glitzerkleid für mehrere tausend Euro?! Das ist ja fast wie Jahrgangsmiso aus dem Lafite Rothschild Barrique!!!