22. Mai 2022

Mullixhiu, Tirana – ein Tag mit zwei albanischen Ikonen: Tefta Pajenga und Bledar Kola

4 Kommentare

Japrak heißen die kulinarischen Frühlingsboten in Albanien. Das sind mit Lamm und Kräutern gefüllte, junge Weinblätter. Wie man sie zubereitet zeigen mir gleich zwei Meister der albanischen Küche. Zonja Tefta (Tefta Pajenga) ist eine bekannte TV Köchin und Bledar Kola der wohl berühmteste Koch Albaniens und Besitzer des Mullixhiu

Im Mittelpunkt meiner Reise nach Albanien soll ein Besuch im Restaurant Mullixhiu stehen. Ich besitze das Kochbuch des Mannes, der mit den höchsten Ehren des Landes dafür ausgezeichnet wurde, dass er die albanische Küche nicht nur über die Grenzen des Landes hinaus bekannt gemacht hat, sondern sie auch modernisiert hat – Bledar Kola. Mit 15 Jahren verließ er Albanien. Nach einem Aufenthalt in Italien, zog er zu seinem Onkel nach London und begann als Tellerwäscher in Restaurants zu arbeiten. Oftmals war er gezwungen, sich als Italiener auszugeben, zu schwer wogen die Vorurteile gegenüber Menschen aus Albanien. Es war keine einfache Zeit. Aber in London entdeckte er seine Liebe zum Kochen. Er absolvierte eine Kochschule und erhielt ein paar Jahre später einen der begehrten Praktikumsplätze bei René Redzepi im Noma in Kopenhagen. Sowohl das Noma wie auch die nächste Station im Restaurant Fäviken (Schweden), wo Magnus Nielsson ausschließlich auf lokale Produkte setzte, weckten in ihm den Wunsch, der albanischen Küche zu einer Renaissance zu verhelfen. „Bauernküche“, nannte man diese in der Heimat. Dreißig Jahre Kommunismus hatten dafür gesorgt, dass viel vom Reichtum der albanischen Küche verloren gegangen ist.  Überall in Albanien aß man heute italienisch. Keiner machte einen Hehl daraus, dass die alten Getreidesorten, die traditionellen Zubereitungen und die ursprünglichen Einflüsse aus der mediterranen und orientalischen Küche aus der Zeit gefallen schienen. Bledar Kola wollte genau das ändern. Behutsam näherte er sich den vergessenen Klassikern, entstaubte sie und entdeckte sie neu. 2016 eröffnete er das Mullixhiu in Tirana. Übersetzt heißt Mullixhiu „Müller“ und tatsächlich stehen im vorderen Teil des Restaurants, in einer abgetrennten Backstube noch drei alte Getreidemühlen und in einem kleinen Shop wird das Backwerk verkauft. Sein besonderer Anspruch war immer, die albanische Küche allen zugänglich zu machen und so kostet auch heute das 6-Gang Menü nicht mehr als 25,00€. Er unterstützt mit dem Restaurant auch kleine Handwerksbetriebe und Bauern und so legt er beispielsweise die Herstellung seines „Fli“, ein aus vielen Schichten bestehender Pfannkuchen, den er zu seinen aromatischen, butterzarten Ochsenbäckchen serviert, in die Hände einer älteren Dame aus dem Norden des Landes. Niemand könne es so gut, wie sie, meint er.

Vor meiner Reise hatte ich eine E-Mail ans Restaurant geschickt. Ich wollte unbedingt mehr über die Krautwickel in seinem Buch wissen und fragte an, ob er mir dazu mehr erzählen könne. Ich bekam keine Antwort. Am Abend meiner Reservierung im Mullixhiu (ich war wie immer früh dran und in Albanien isst man eher spät) stand er ganz entspannt im Eingangsbereich des Restaurants. Ich begrüßte ihn und da sein Englisch fließend ist, gab es keine Hürden für eine Unterhaltung. „Du hast mir eine Mail geschrieben, wegen den Sarma (Krautwickeln), hast du morgen Zeit?“, fragte er mich. Genaueres könne er mir erst später sagen, er müsse noch was organisieren. Er müsse sich mit Zonja, einer Fernsehköchin abstimmen, wann es bei ihr passte. Es gab keine konkreten Pläne für den kommenden Tag, außer irgendwann ans Meer zu fahren, also sagte ich begeistert zu. Ich hatte keine Vorstellung, was mich erwarten sollte. Fernsehköchin klingt danach, als ob am nächsten Tag hier ein ganzes Kamerateam aufschlagen sollte, wobei ich zuschauen könnte. Kurz bevor ich das Restaurant nach einem beeindruckenden Dinner verließ (dazu kommt noch ein separater Bericht), lugte ich nochmal in die Küche. „Morgen 11:00 Uhr!“ rief er mir zu. Alles, klar. Ich war gespannt.

Natürlich bin ich pünktlich, sogar wie immer ein wenig zu früh, was in Albanien – er meint in der gesamten Balkanregion – eher nicht so genau genommen wird. Also sitzen wir einfach an einem der Tische vor dem Restaurant und unterhalten uns. Über das Restaurant, über die schwere Zeit während der Pandemie, über den Wein Albaniens und natürlich seinen Werdegang. Stolz zeigt er mir seine Auszeichnung, die er von der Regierung erhalten hatte und die vergleichbar ist mit der Auszeichnung des Bundesverdienstkreuzes. Seine Augen strahlen, wenn er von dem Tag der Ehrung berichtet. Überhaupt ist Bledar Kola ein Mensch, der einfach immer freundlich ist und mit einem Lächeln auf die Menschen zugeht. Er wirkt ruhig und besonnen als er erzählt, dass er am Abend zuvor gleich zwei Köche, die krankheitsbedingt ausgefallen waren, in der Küche ersetzen musste. Davon, dass dies dem Super Gau in einem beliebten Restaurant gleichkommt, merkt man ihm nichts an (und am Abend hatte man davon auch nichts mitbekommen).

Wir trinken einen Kaffee, ich koste wieder einen vergorenen Maissaft, den ich am Vorabend zu meinem Lieblingsgetränk erkoren hatte. Das Zeug ist herrlich. Mittlerweile ist es 12:00 Uhr. Noch immer denke ich, dass jetzt endlich mal das Filmteam kommen müsste. Und als Zonja Tefta, eine elegante ältere Dame, sich zu uns setzt, begreife ich immer noch nicht, dass da überhaupt kein Filmteam kommen wird. Es wird eine Veranstaltung nur für mich. Ich soll alles über Sarma, bzw. Japrak – die Frühlingswickerl – lernen. Und das von der großen Zonja. Die beiden kennen sich seit Längerem, 2008 trat Kola zum ersten Mal in ihrer Kochshow im Fernsehen auf. 2018 beendete „Frau Tefta“, wie sie immer noch genannt wird, ihre Karriere im Fernsehen. Da war sie 70. Von nun an wolle sie sich um die Enkel kümmern. Doch sie hat viel zu viel Energie, als dass sie einfach so vom Kochen und Lehren lassen könnte. Immerhin war sie vor ihrer Karriere als Fernsehköchin 30 Jahre lang Lehrerin. Und heute bin ich also ihre Schülerin. Bledar Kola assistiert und übersetzt.

Japrak = Sarma = Dolma =frühlingshafte gefüllte Weinblätter

Vor uns liegen viele frische Kräuter und junge Kohlblätter, es duftet nach Dill, Minze und Sauerampfer. Auch Borretsch ist dabei. Die müssen nun alle kleingehackt werden. Frau Tefta ist in ihrem Element. Beherzt hackt sie die Kräuter, schneidet Frühlingszwiebel in feine Röllchen und mischt die Kräuter mit gehacktem Lammfleisch, Salz und Olivenöl. Gewürzt wird noch mit Zitronenabrieb und einer Prise Pfeffer. Dann bringt ein Mitarbeiter Kolas die gedämpften Weinblätter aus der Küche. Nur im Frühjahr seien diese noch zart genug, dass man sie einfach nur kurz dämpfen könne. Im Herbst seien sie zwar größer, doch dann eben auch viel fester. Gekonnt legt Zonja die Blätter übereinander, setzt einen Esslöffel von der Kräuter-Fleisch Mischung darauf und wickelt sie zu mundgerechten Röllchen. Den Topfboden legte sie mit Weinblättern aus, worauf sie dann die Röllchen schichtet. Bledar wickelt mit und so wird der große Topf immer voller. Auf dem Tisch steht eine kleine Induktionsplatte. Auf die kommt der Topf, Deckel drauf und nun heißt es warten, bis die kleinen Japrak fertig sind. Es sei wichtig, dass der Deckel nicht auf dem Topf, sondern auf den Röllchen liege, lerne ich. Also immer einen kleineren Deckel, als den zum Topf passenden wählen.

Nach einer Weile beginnen die Röllchen zu duften. Es duftet überwältigend nach frischen Kräutern. Ein älterer Mann erscheint im Restaurant. Er bringt zwei große Tüten mit frischen Kräutern. Frisch gesammelt. Zonja prüft die Ware und ist sichtlich zufrieden. Und es ist ein schönes Beispiel dafür, dass eben kein LKW vom Großmarkt vor der Tür hält, sondern dass auch der kleinste „Zulieferer“ hier unterstützt wird. Denn welcher Lieferant würde Kräuter von unberührten Wiesen liefern?

frisches Brot aus der Backstube

Dann endlich sind die Röllchen fertig. Zonja richtet für jeden einen Teller an, legt noch Zitronenscheiben und etwas Dill dazu, dann darf ich sie endlich probieren. Die Japrak sind göttlich. Die zarten Weinblätter haben einen angenehmen Biss und die Füllung ist herrlich aromatisch. Das ist pure Kräuterküche. Mehr als zwei Stunden haben wir mit schnippeln, füllen und Reden verbracht und da ist es nach Meinung von Bledar Kola durchaus an der Zeit nochmal richtig aufzutischen. Aus der Küche kommen köstliche Nudeln mit kleinen Pilzen, geschmorte Ziege mit verschiedenen Gemüsen. Auch der Salat mit Khaki Frucht, Kürbis und getrockneten Tomaten ist dabei. Es ist ein Fest. Während um uns herum im Garten des Restaurants die Gäste neugierig dabei zuschauen, was wir da so tun mit Kochplatte und ganz vielen Tellern auf dem Tisch, genießen wir einen herrlich warmen Frühlingstag mit dem Besten, was das Restaurant zu bieten hat. An dieser Stelle möchte ich gern ein bisschen spoilern, was den kommenden Bericht über das Dinner im Mullixhiu angeht. Und irgendwie kann ich es noch immer nicht so richtig fassen, dass das alles an diesem Tag nur für mich war. Ich bin unendlich dankbar dafür. Erst nach 16:00 Uhr werden die letzten Teller abgeräumt und es ist Zeit, sich zu verabschieden. Ich vermisse die beiden jetzt schon und schweren Herzens mache ich mich auf den Weg. Nicht ohne mir vorher noch eines seiner duftenden Maisbrote zu kaufen. Es ist das beste Maisbrot, das ich während meiner gesamten Reise in Albanien essen werde. Es ist würzig, knusprig und gleichzeitig samtig weich. Gerne wäre ich noch einen Tag länger geblieben, vielleicht um zu lernen, wie man dieses unglaubliche Maisbrot backt.

die fertigen Japrak

Albanische Nudeln mit Pilzen

Fleisch ist immer dabei (Ochsenbäckchen)

geschmortes Zicklein mit Gemüsen

eine volle Tafel

albanischer Käse und kleine, würzige Fleischbällchen

„Fli“ die Pfannkuchen aus vielen Schichten

das Maisbrot aus dem Mullixhiu

Bledar Kola ist ein Mensch mit einem großen Herzen, der nicht nur fantastisch kocht, und das sieben Tage in der Woche, sondern der auch immer darum bemüht ist, da zu helfen, wo er gebraucht wird.

Er gönnt sich keinen Ruhetag und als 2018 Albanien von einem schweren Erdbeben erschüttert wurde, kochte er zusammen mit anderen für die Erdbebenopfer. Er will genau wie sein englischer Kollege Jamie Oliver den Schulkindern das Fast Food abgewöhnen und unterrichtet sie. Und er wird nicht müde, der albanischen Küche zu neuer Popularität zu verhelfen. Es braucht mehr Menschen wie Bledar Kola.

Mullixhiu

Shëtitorja Lasgush Poradeci Hyrja e Parkut tek Diga e Liqenit Artificial

Tirana, 1019, Albanien

Mullixhiu.al

Das erste Kochbuch von Bledar Kola (Affiliate Link beim Klick aufs Bild) 

 

4 Kommentare

  1. Danke für den schönen und informativen Bericht und die herrlichen Bilder. Ich werde selbst bald nach Tirana reisen und bin gespannt die kulturelle Vielfalt dort kennenzulernen. Bei meiner Planung und Recherche bin ich allerdings auf viele negative Berichte und vor allem Bewertungen über das Mullixhiu gestoßen. Ist das für Sie nachvollziehbar, oder gibt es dafür Anhaltspunkte? Ich bin mir aktuell nicht sicher, ob ich das Restaurant ausprobieren soll.

    Viele Grüße und herzlichen Dank
    Johannes Schmitz

    Antworten
    • Hallo Johannes,
      ja unbedingt hinfahren. Ich kann ehrlich gesagt die negativen Kritiken nicht verstehen. Ich fand es großartig und kann es nur empfehlen.

      viele Grüße
      Claudia

      Antworten
  2. Hallo guten Tag, herzlichen Dank für die sehr interessanten Berichte. Ich bekomme Hunger beim lesen und Lust nach Albanien zu reisen. Was sind das für interessante Ton“lampen“ die da mit den Blüten verziert hängen, wissen Sie was wozu das dient? Generell sieht das sehr einladend und gemütlich aus.

    Vielen Dank für die Mühe und viele Grüsse

    Antworten
    • Hallo Claudia,
      das ist einfach nur Dekoration. Sämtliche Lampen im Lokal außen und innen sind mit diesen Trockenblüten dekoriert. Sieht einfach hübsch aus.

      liebe Grüße
      Claudia

      Antworten

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