Manchmal, auch öfters, ertappe ich mich dabei, dass ich sanft über das Cover streichle. Ich hebe es hoch und wundere mich jedes Mal, wie schwer es geworden ist. Ich zupfe ein wenig am Kapitelbändchen, das die Farbe von lang gereiften Miso hat. Dann bilde ich mir ein, dass es so duftet, wie die Miso Geschäfte in Japan. Ein süß-satter Geruch, nicht aufdringlich, eher elegant. Vor knapp einem Monat ist es also erschienen. Anlass genug, ein wenig über die Entstehung zu berichten. Über die Reisen und was es bedeutet, einen ganzen Winter zu verpassen.

Miso, warum eigentlich Miso?

Vielleicht kokettiere ich ein wenig damit, wenn ich sage, dass nicht ich Miso entdeckt habe, sondern Miso mich gefunden hat. Schon vor vielen Jahren habe ich es entdeckt, damals in New York, als ich zum ersten Mal ein japanisches Restaurant besuchte, dann wieder als ich in Okinawa war und dann endgültig, als ich auf der Biofachmesse in Nürnberg Produzenten aus Japan kennenlernte. Doch eins nach dem anderen.
Jeder, der schreibt, träumt irgendwann einmal davon, ein Buch zu schreiben. Auch ich hatte diesen Traum. Ich wusste nur lange nicht worüber ich schreiben sollte. Da schwappte die große „Kale-Welle“ aus USA zu uns rüber und da dachte ich zum ersten Mal daran, wie toll es wäre, ein Buch über den fabelhaften Grünkohl zu schreiben. Ich schrieb eine Seite lang ein Exposé und zeigte es einem Verleger. Einem, zum Glück, sehr wohlmeinenden Verleger. Er sah mir tief in Augen und meinte „das ist alles ganz schön, liebe Claudia, aber warum lese ich nirgends, weshalb du eigentlich so ein Buch schreiben willst?“. Das war die Frage aller Fragen. Davon abgesehen, das ihm das Thema nicht wirklich so ergiebig erschien, dass es sich lohnte ein ganzes Buch darüber zu schreiben (einige haben es später dann doch getan), zermarterte ich mir den Kopf, warum in aller Welt ich dieses Buch schreiben wollte. Mir fiel kein Grund ein, außer der Tatsache, dass ich Grünkohl mag. Reicht nicht. Thema erledigt.
Ganz anders war es, als ich zum ersten Mal von einem Japaner eine Tomatensuppe bekam, die mit Miso verfeinert wurde. Wow, dachte ich. Diese unglaublich Tiefe, diese Aromen, das ist atemberaubend. Miso – da war es plötzlich wieder. Und es war so präsent wie nie zuvor. Ich wusste sofort, das ist meins. Mein Thema. Doch je mehr ich darüber recherchierte, desto mehr wurde mir klar – ich weiß einen Scheiß über Miso. Also flog ich nach Tokio, besuchte diverse Läden, sprach mit Slow Food Vertretern und kostete mich durch Misogeschäfte, Bauernmärkte und Feinkostabteilungen. Mit zwei Kilo Miso im Gepäck flog ich wieder zurück.
Und plötzlich fiel es mir ganz leicht, ein Exposé aufzusetzen, zu erklären warum ich dieses Buch schreiben wollte. Ich konnte mühelos Konkurrenz- und Zielgruppenanalysen aufführen, unterlegte sie mit Rezeptbeispielen und nach 5 Seiten war alles gesagt. Wirklich alles. Mit exakter Beschreibung der Realisierungsphase, den dafür notwendigen Reisen und sonstigen Eckdaten.

Einen Verlag finden

Ich schickte es ab. Natürlich wünscht sich jeder in diesem Moment, dass man sofort eine Zusage bekommt. Natürlich bekam ich die nicht. Auch nicht beim nächsten und nicht beim übernächsten. Zu speziell, zu riskant. Manch einer wusste nicht einmal, was Miso überhaupt ist. Geht vielen übrigens so, selbst im Freundeskreis habe ich immer wieder aufs Neue erklären dürfen, was es damit auf sich hat. Ich sage bewusst ‚dürfen‘, denn mit jedem Mal, da ich es erklärte, wuchs meine Freude, darüber zu reden.
Beim Hädecke Verlag, meinem Verlag, dauerte es exakt ein Wochenende, dann kam eine Mail in der stand „können wir uns vorstellen, lass uns treffen“. Wir trafen uns in einem japanischen Restaurant und danach war der Weg frei. Einige Wochen später kam der Vertrag. Ein paar Tage, bevor ich zu meiner großen Reise in Miso-Länder aufbrach.

Die Reisen

Japan, Korea und Taiwan standen auf dem Plan. Bereits auf dem Flug nach Tokio kündigte sich eine Erkältung an. Ich fror, als ich Kyoto erreichte und versuchte es zu ignorieren. Bereits im Vorfeld der Reise hatte ich mit verschiedenen Misoproduzenten Termine ausgemacht. Doch nicht jeder öffnete mir bereitwillig jede Tür. In Kyoto angekommen musste ich erfahren, dass man mich bei Honda Miso nicht in die Produktion lassen würde. Ich war enttäuscht. Weiter ging es mit dem Shinkansen nach Komagane in der Nähe von Nagano. Zu einem der größten Misoproduzenten des Landes. Als erste Deutsche überhaupt empfing man mich dort. Ein ganzes Büro stand auf und verbeugte sich vor mir. Eine Situation, auf die nicht gefasst war, ich wusste nicht, was ich tun sollte, tausend Gedanken schossen durch meinen Kopf, ich erinnerte mich, dass ich darüber gelesen hatte, dass es wichtig sei zu wissen, wie tief man sich zu verbeugen hatte. In diesem Moment hatte ich keinen blassen Schimmer, wie und wie tief ich diese Begrüßung erwidern sollte. Ich lächelte einfach, blieb stehen und verneigte mich leicht. Möge man mir alle Fehler nachsehen, dachte ich dann nur.
Im Besprechungszimmer hatte man zwei Fähnchen gehisst, zum allerersten Mal die Schwarz-Rot-Goldene und die Japanische. Ein Dolmetscher wurde mir zur Seite gestellt und ich konnte einen Tag lang alles fragen, alles sehen, alles probieren. Es war fantastisch.

Manchmal braucht man auch einfach Glück

Meine Freunde in Tokio führten mich in ein Miso-Restaurant und während wir uns quer durch die Karte probierten, erklärte ich ihnen, was ich eigentlich suche. Diese besonderen Misofässer, welche mit Steinpyramiden beschwert sind. Am nächsten Tag sollte ich wieder mit dem Zug hoch nach Niigata fahren um einen Produzenten zu besuchen, doch bereits am Vorabend erfuhr ich, dass ich auch dort nicht das finden würde, was ich suchte. Meine Freunde unterhielten sich mit dem Besitzer des Ladens, einem Miso Sommelier. Ich verstand natürlich kein Wort von dem worüber sie sprachen, doch auf einmal strahlten mich alle an und der Besitzer zückte sein Handy. Er wählte eine Nummer in Okazaki. Er wusste genau, wo ich diese Fässer finden würde, und wie ich dorthin kommen könnte. Der Schlüssel dazu war sein Freund Nobutaro Asai. Der ist Präsident einer der ältesten Misomanufakturen in der Aichi Präfektur. Er lebte sogar eine Zeitlang in Deutschland und sprach fließend Deutsch. Und so saß ich mitten in diesem kleinen Restaurant in Tokio und sprach mit einem fremden Menschen, der mich herzlich willkommen hieß, ihn und die Manufaktur zu besuchen. Mittlerweile hatte ich Fieber und alle Knochen taten mir weh. Am nächsten Tag fuhr ich nach Niigata und den Tag darauf nach Okazaki. Die Zugfahrten waren horrend teuer, doch das war völlig egal, ich war fast am Ziel. Ich lernte sehr viel bei diesem Besuchen.
Taiwan, die nächste Station erwies allerdings als Flop. Nicht falsch verstehen, Taiwan ist ein wundervolles Land und allein wegen der Nachtmärkte würde ich sofort wieder nach Taipeh fliegen, aber in Sachen Miso war hier nicht viel zu holen.
Weiter also nach Korea. Dort traf ich eine der bekanntesten Daenjang Produzentinnen des Landes. Bis zu 30 Jahre ist ihr Daenjang (so heißt Miso in Korea) alt. Sie weihte mich nicht nur in alle Schritte der Herstellung ein, sie zeigte mir gleich das halbe Land. Sie nahm mich mit auf eine Biomesse, fuhr mit mir ans Meer und in wunderschöne Tempelanlagen. Sie öffnete mir die Tore zur Hansik-Küche, die Hochküche Koreas.

Schreiben, kochen, probieren, nochmal von vorn und dann ein Foto

Wieder zurück habe ich konsequent mit Excel Listen gearbeitet, die ich darauf filtern konnte, was an welchem Wochenende zu schaffen wäre. Mindestens 60 Rezepte sollten es werden, Alternativen und Fehlschläge waren noch dazu zu addieren. Ab dem Zeitpunkt meiner Rückkehr hatte ich keine freie Minute mehr. Ich arbeite Vollzeit, das musste neben Job und Blog funktionieren. Ich kaufte freitags ein, stellte den Wecker am nächsten Morgen auf sieben Uhr und legte los. Jedes einzelne Wochenende. Bis Mitte Februar. Dann nahm ich mir zwei Wochen Urlaub, wo ich nichts anderes tat, als nur einkaufen, kochen, schreiben, shooten. Die kurzen Tage des Winters sind ungnädig für Fotografen, die Tageslicht brauchen. Ende März sollte ich abgeben.

Die Fertigstellung

Je mehr ich mit Köchen und Produzenten sprach, desto mehr wuchs in mir der Wunsch, ihnen einen großen Teil meines Buches zu widmen. Und ich bin stolz auf die Unterstützung, die ich von ihnen bekommen habe. Tohru Nakamura, Tanja Grandits, Lucki Maurer und Kudo Chiori – sie alle waren begeistert dabei, als ich sie zu Miso befragte. Sie alle haben mir ein Rezept für mein Buch gegeben. Als dann noch Thomas Vilgis bereitwillig zustimmte, mir ein Vorwort zu schreiben, war ich überglücklich. Ich musste nur alles koordinieren. Zu Lucki Maurer fuhr ich, als man mir einen Tag vorher am Kiefer rumgesägt hatte. Zugedröhnt mit Schmerzmitteln und kaum fähig zu sprechen hatten wir nach einigen Stunden alles im Kasten. Dann einige Wochen später, es war bereits Mai und ich hatte fast alles abgegeben, fuhr ich nach Basel zu Tanja Grandits. 900 Kilometer mal eben an einem Wochenende. Montag dann wieder im Büro, die Nächte am PC. Das einzige, worüber ich mir keine Sorgen machen musste war, das ich sicher nicht verhungern würde. Wie auch, meine Küche war im Dauerbetrieb.
Anfang September, kurz vor Druck, ging es dann noch einmal richtig rund. Hier Korrekturen, dort Bildunterschriften ergänzen. Bei fast 200 Bildern sind das eine Menge Bildunterschriften. Und dann nur noch warten.

Soufflé Shooting bei Minusgraden im Hof bei Tohru Nakamura

Premiere auf der Buchmesse

Dieses Mal schwebte ich fast auf die Buchmesse. Zwei Tage vorher hielt ich das fertige Buch zum ersten Mal in den Händen. Ein großes Paket wurde in die Firma geliefert. Mit leicht zitternden Händen habe ich den Karton aufgemacht. Und dann liefen mir nur noch die Tränen runter. Es war geschafft. Meine Kollegen gratulierten mir. Eine Kollegin zog mich in ein leeres Zimmer und machte ein Bild von mir. Dass sie diesen Moment festgehalten hat, dafür werde ich ihr immer dankbar sein.
Die Reaktionen auf der Messe waren fantastisch. Ich bekam Lob von allen Seiten. Da ein Interview, noch eins, da einen Fototermin. Wie gesagt – ich schwebte irgendwie. Freunde und Bloggerkollegen kamen vorbei und gratulierten mir.

Und jetzt endlich, nachdem die Messe vorbei ist, nachdem ich alles erst einmal sacken lassen musste, da bin ich angekommen. Ein Ausnahme-Jahr liegt hinter mir (mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, wenig zu schlafen), ein Jahr, das nur mit viel Disziplin und Excel-Listen zu schaffen war. Das manchmal ein bisschen einsam machte, denn ich hatte kaum noch Zeit für meine Freunde.
Und wer sich jetzt fragt, ob mir nach dieser Zeit das Miso nicht ein wenig zum Hals raus hängt, dem kann ich nur sagen – NEIN, nie und nimmer. Ich habe noch Vorräte für die nächsten Jahre und eigentlich hätte das Buch noch viel dicker als 216 Seiten sein können. Ich habe da noch so viele Ideen.
Aber dafür bin ich ja hier. Auf meinem Blog.

glücklicher geht kaum. Danke Nicole Klauß für dieses Foto!

Buchmesse, Reaktionen auf Instagram von Kollegen, dem Verlag und zum ersten Mal eine Autorenstunde

Und wo bekommt man es?

 

Direkt beim Verlag: haedecke-shop.de/products/miso

in jeder Buchhandlung

oder bei Amazon Miso: Rezepte – Kultur – Menschen