28. November 2015

[The Tokio Food Files #1]
Eintauchen, die Sinne öffnen und zur Beruhigung Sake trinken

5 Kommentare

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Ich kenne Tokio. Aus Büchern. In den Romanen von Haruki Murakami erscheint mir Tokio immer uferlos und erschreckend groß. Eine Stadt ohne Himmel, dafür mit umso mehr Brunnen. Sie jagt mir Angst ein, diese riesige Stadt. Ich bin noch nie dort gewesen. Jeder meint, ich solle hin. Die Stadt sei unglaublich. Ich habe immer noch ein mulmiges Gefühl, als ich mir ein Zimmer buche.
Nach der Landung auf dem Kaneda Airport muss ich in die Stadt kommen. Jeder meinte, man könne die Schilder nicht lesen. Mir graut. Ich kann kein Japanisch, aber ich kann die Schilder lesen. Es steht alles auf English darauf. Ich muss auf die Monorail Linie. Von dort weiter bis zur Station Hamamasutcho, wechseln auf die Oedo Line. Eigentlich kann nichts schief gehen, ich kann zur Not einmal rundherum fahren, sollte ich die falsche Richtung erwischt haben. Ich werde immer in Shinjuku halten. Ich klammere mich an meinen Koffer und summe ein wenig Frank Sinatra, New York, New York – if you can make it there, you can make it everywhere – schaue aus dem Fenster. Ich sehe Himmel. Viel Himmel. Mit festem Griff umklammere ich die Subway Map, als wäre es ein Schatz. Ich versuche die Stationen bis Shinjuku auswendig zu lernen. Ich bin nervös. Dort muss ich auf die Keio Line wechseln. Treppen hoch, Treppen runter, stets den Blick auf die Schilder gerichtet. Keio Line, da steht es. 200 Meter weiter ist das Schild verschwunden. Mist. Ich habe mich verlaufen. Ich laufe zurück. Suche eine Information. Keio Line? frage ich lächelnd. Die junge Dame deutet in die Richtung aus der ich gekommen bin. Ich zerre den Koffer zurück durch die Menschenmenge. Es geht nach unten. Wieder Treppen. Ich habe sie gefunden. Diesmal ist die Richtung entscheidend. Ich frage wieder. Sazazuka? Die alte Dame nickt. Eine Station heißt es auf dem Plan. Es erscheint mir unendlich lange. Vielleicht habe ich einen Express Zug erwischt und lande gleich in einem Vorort von Tokio? Ich bin nicht hysterisch, aber ich klammere mich fester an meinen Koffer. Dann plötzlich – Sazakuza. Von hier seien es vier Minuten bis zu dem Zimmer, das ich gemietet habe. Also eigentlich ist es eine ganze Wohnung. Ein Zimmer. Normal für Tokio. Normal ist vermutlich auch, dass sich kein Mensch, der nicht hier lebt, mit den Straßennamen und Hausnummern zurecht findet. Ich fluche. Und buche mir ein Datenpaket, damit ich meine Sorgen Google Maps anvertrauen kann. Das Netz hier ist launisch. Eine Minute hat man die volle Bandbreite, in der nächsten ist es schon wieder vorbei. Ich muss schnell sein. Und Glück haben. Die Karte meint, ich sei schon da. Ich finde aber die Nummer 15 nicht. Wäre ich ein Hund, ich würde wütend die Nummer 13 ankläffen. Ich setze mich auf eine Mauer. So kann das nicht funktionieren. Ich frage zwei junge Japaner und hoffe, sie sprechen Englisch. Das tun sie. Trotzdem finden wir die Nummer 15 nicht. Laut meiner Karte stehe ich quasi fast davor. Ich laufe die Straße zurück und drehe mich um. Und plötzlich habe ich sie gefunden. Erleichterung. Die nächste Hürde ist der Briefkasten, worin der Schlüssel liegt. Ich soll einen Code eingeben. Zweimal links, einmal rechts. Zur Hölle damit – an diesem Rädchen geht es nur im Uhrzeigersinn und gegen. Ich besitze wenig Erfahrung mit Safes, doch so kurz vor dem Ziel kommt ein Aufgeben nicht in Frage. Beherzt zerre ich an dem Rädchen. War da ein leichtes Klicken? Ja, ich bin auf dem richtigen Weg. Noch zwei Versuche und ich habe den Schlüssel. Mein Zimmer ist im elften Stock. Ich bin so überglücklich, dass ich alles gefunden habe, dass ich fast entgegen der japanischen Regeln mit den Schuhen durchs Zimmer stürme und mich aufs Bett werfen will. Sie ist wirklich winzig diese Wohnung aber für die nächsten vier Tage wird sie in dieser riesigen Stadt meine Höhle sein. Meine Insel. Ich trinke ein wenig Awamori. Angekommen.
Tokio-1-28Der Koffer bleibt unausgepackt. Ich mache mich ein wenig frisch und beschäftige mich erneut mit meiner neuen Freundin der U-Bahnnetz Karte. In einer Stunde treffe ich die Freunde einer Freundin. Er, Toshiya, ist der Leiter von Slow Food Tokio. Ich hatte ihn im Vorfeld gebeten, mir eine Einführung in die verschiedenen Sake zu geben. Er hat gleich ein ganzes Tagesprogramm vorgeschlagen, am Ende steht die Sake Probe. Er und seine Frau erkennen mich, die Langnase, sofort. Immerhin, als ich die beiden treffe, habe ich mir bereits einen Metro Pass besorgt und ihn aufgeladen. Fortan hechle ich den beiden wie ein Welpen hinterher. In Tokio läuft man schnell. Wieder fahren wir nach Shinjuku. Wieder sieht alles anders aus. Weiter nach Shibuya. Ich soll als erstes die große Kreuzung aus dem Film „Lost in Translation“ sehen, jene Kreuzung, wo alle aus allen Richtung loslaufen. Ich will das filmen und verpasse die Grünphase. Toshiyas Frau hat Verständnis und wartet mit mir. Beim zweiten Anlauf schaffen wir es. Toshiya hat gewartet damit er mir die Statue von dem Hund zeigen kann. Ich erkenne Hachiko sofort ( es gab da einen Film mit Richard Gere, der mich jedesmal zu Tränen rührt). Jener Hund, der treu und brav jeden Tag auf sein Herrchen gewartet hat, obwohl dieser schon vor Jahren verstorben war. Wir machen ein Foto mit Hachiko. Überhaupt machen die Japaner ständig und überall Fotos. Und sie freuen sich, wenn man ihre Kinder so entzückend findet, dass man sie fotografieren will. In so manch anderem Land ist das nicht so. In Deutschland schon gar nicht. Toshiyas Frau Noriko reicht es nicht, jedes Motiv einmal zu fotografieren. Es müssen mindestens drei Bilder sein. Claudia mit Toshiya auf dem Bauernmarkt, an der Kreuzung, einfach so auf der Straße, an der Ampel. Lächeln bitte. Und nochmal.

Tokio-1-27 Tokio-1-3 Tokio-1-2Antenna Shops und die Suche nach der Yuzu

Der Bauernmarkt an der Universität der Vereinten Nationen ist groß. Und an einem Sonntagnachmittag voller Menschen. Ich möchte gerne was Frisches kaufen, was angesichts der Tatsache, dass ich hier sicher nicht kochen werde unpassend ist. Stattdessen kaufe ich verschiedene eingemachte Gemüse in rosa, lila und orange, die ich fortan schleppen darf. Ich würde gerne Yuzu mitnehmen, doch die ist schon ausverkauft. Was ich gerne sehen möchte, fragt Toshiya. Geschirr, antworte ich, das würde ich wirklich gerne sehen. Er überlegt kurz und hat schon eine Idee. Wieder tauchen wir hinab in die U-Bahn. Wieder tripple ich einfach hinterher. Wir kommen nach Ginza, wo es im Untergeschoss eines Hochhauses einen Seconshand Laden für Geschirr gibt. Teilweise sind die Sachen ein paar hundert Jahre alt. Aufgeregt durchforste ich die Regale. Finde eine Teetasse, ein Holztablett, ein Tellerchen. Ich strahle. Toshiya und Noriko strahlen auch. Jetzt haben wir uns ein Getränk verdient. Es dämmert bereits, als wir über die große Einkaufsstraße in Ginza laufen. Die Straße ist am Sonntag für einige Stunden für Autos gesperrt. Es funkelt um mich herum. Überall sind Lichter. Überall schöne Menschen. Natürlich kommt nur ein Slow Food Café in Frage. Im obersten Stock des Schreibwarengeschäfts „Stylo“. Sehnsüchtig schaue ich auf die Kuchen. In einer Stunde wollen wir zu Abend essen. Während wir durch die Seitenstraßen von Ginza laufen, erklärt Toshiya mir das Prinzip der Antenna Shops. Annährend jede Präfektur Japans unterhält eigene Läden, wo die typischen Spezialitäten der Region angeboten werden. Wir besuchen den Antenna Shop von Hokkaido. Ich kaufe sofort rabenschwarze Bohnen. Im Antenna Shop von Okinawa begegne ich meinen heißgeliebten orangenen Limetten. Ich nehme mir vor in den nächsten zwei Tagen alle Antenna Shops in Tokio zu besuchen. Natürlich sollte jedem klar sein, dass das unmöglich ist. Ich bin dennoch entschlossen.
Toshiya erklärt mir, dass alle immer denken, es sei ja soviel gesünder auf dem Land zu leben, doch man unterschätze immer, wie viel Bewegung man hier in Tokio habe. Das hier sei viel gesünder. Ich lächle tapfer. Meine Füße sind das nicht so gewohnt und ich ertappe mich dabei, wie ich sehnsüchtig darauf warte, dass wir endlich zum Essen gehen. Sitzen, Essen – zwei unvorstellbar schöne Worte.
Im obersten Stock des Kaufhauses Mistukoshi ist dann auch das Restaurant, das Toshiya ausgesucht hat. Alles biologisch, saisonal und aus der Region. Dankbar bestelle ich ein Bier. Das Essen ist grandios. Ich erlebe den zartesten und zugleich knusprigsten Tofu in einer Brühe, deren perfekte Balance aus würzigen Aromen kaum in Worte zu fassen ist.

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Sake im Untergrund

Wieder tauchen wir ab in die U-Bahn, fahren ein zwei Stationen, laufen über einen Platz, steigen irgendwo in einem der Hochhäuser über breite Treppen in das Untergeschoss. Sämtliche Geschäfte hier sind geschlossen. Es ist eine seltsame Umgebung. Wir betreten die wohl winzigste Sake Bar, die ich je gesehen habe (ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich nicht viele gesehen habe). Der ganze Raum besteht aus einem Tresen, dahinter hat genau ein Mensch Platz. Davor gibt es acht Plätze. Keine Tische. Keiner der Stühle ist besetzt und es scheint, als hätte die Dame genau auf uns drei gewartet. Es ist schummrig hier drin und wieder schleicht sich so ein Murakami Gefühl ein, es ist ein wenig wie in einer Parallelwelt, irgendwo im Nichts, im Untergrund, wo kein Mensch sonst ist, sitze nun ich und will Sake trinken. Nicht nur einen, sondern so viele wie möglich. Dass so ein Glas üppig gefüllt wird, macht die Sache nicht leichter. Ich vertraue Toshiya. Er bestellt. Ich kann zu den Flaschen nichts sagen, außer „hübsches Etikett“ und ähnliches unqualifiziertes. Lesen kann ich ja nichts. Ich muss mich ganz auf den Geschmack verlassen. Die Dame hinter der Bar stört dies offensichtlich nicht, denn bei jedem neuen Sake erklärt sie uns ausgiebig, um welche Besonderheit es sich nun handelt. Toshiya kommentiert. Ich lasse einfach nur die unterschiedlichen Aromen auf mich wirken. Bei der vierten Flasche möchte ich gerne singen, so schön ist dieser Sake. Ein volles, wuchtiges Bouquet aus floralen Noten prallt an meinen Gaumen. Das ist er! Das ist mein Lieblingssake. Nur um dann nochmal von dem letzten übertroffen zu werden. Mir dämmert, dass hier das gleiche Prinzip wie bei einer Weinverkostung gilt. Man beginnt mit dem leichten, eher belanglosen und endet mit den absoluten Knallern. Vom Tafelwein zum Grand Cru. Und wie beim Wein, ist es auch beim Sake die oberste Liga, wo mein Herz einen Sprung macht. Mittlerweile haben sich zwei japanische Herren dazu gesellt. Toshiya hat sein Kalligrafie Set herausgeholt und malt für mich eine Rübe. Ich streichle selig die Flasche, die vor mir steht. Günstig ist so ein Ausflug in die Welt des Sake nicht, ich bezahle allein für mich um die fünfzig Euro, doch es hätte nicht besser investiert sein können. Meine Einkaufsprioritätenliste wird sofort geändert. Sake wandert ganz nach oben. Morgen, morgen werde ich Sake einkaufen gehen. Schließlich habe ich noch genug Luftpolsterfolie im Koffer.
Ohne Probleme und Google Maps finde ich zurück zu meinem Haus. Ich und Tokio sind uns entscheidend näher gekommen. So long, Mr. Murakami.

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*Liste der Antenna Shops (hier)

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5 Kommentare

  1. Claudia! In einer knappen Woche geht´s nach Tokyo :) Ich bin schon im Reiseplan-Fieber und ziemlich aufgeregt. Ich sehe mich schon durch die gigantische Stadt irren … mit einem Koffer voll handgemachter Keramik, Sake und eingelegtem Gemüse … Hach, ich darf nicht vergessen die Luftpolsterfolie einzupacken … ;)
    Das Bio-Restaurant, das du hier in deinem Artikel beschreibst, hört sich toll an. Ich würde sehr gerne dorthin gehen. Verrätst du mir den Namen?

    Freudige Grüße, Ariane

    Antworten
  2. Oh, das ist so schön geschrieben, liebe Claudia! Ich kann mir richtig gut vorstellen, wie du dich gefühlt hast. Ein wahrer Rausch! Nun freue ich mich noch mehr auf meine Japan-Südkorea-Reise im April!
    Alles Liebe
    Ariane

    Antworten
    • Und ich freue mich schon auf deine grandiosen Reiseberichte, liebe Ariane!

      Antworten
  3. Auch Murakami Fan ;-) ? Und auch immer weinen bei Hachiko (mir kullern inzwischen schon nur bei der Filmmusik die Tränen…)
    Du magst dann sicher auch die wundervolle Musik von Ryuichi Sakamoto…?
    Ich träume auch von Japan und möchte unbedingt irgendwann hin.

    Antworten
    • Liebe Britta, ich sag nur “Energy Flow” – natürlich mag ich die Musik von Ryuichi Sakamoto. Da haben wir wirklich sehr viel gemeinsam.
      Und Mr. Aufziehvogel ist mein absolutes Lieblingsbuch von Murakami.
      Ich drücke dir die Daumen (ganz fest), dass es bald klappt mit Japan. (Die Flüge sind gar nicht so teuer)
      Liebe Grüße
      Claudia

      Antworten

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